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Benjamin Idriz
Idriz: „Der Islam soll Menschen glücklich machen“

Idriz: "Je mehr die Menschen in ihren Auslegungen und Praxen zu Askese und Extremen neigen, desto weiter entfernen sich vom „mittleren Weg“ (2/al-Baqara, 143)."

Der Koran (Symbolfoto: pixa)
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von Benjamin Idriz

Ich habe diese Woche eine E-Mail von einer jungen Dame erhalten, welche vor kurzem zum Islam konvertiert ist.

Sie schreibt folgendes, ich zitiere:

„Seit dem ich zum Islam konvertiert bin, fühle mich ich sehr unruhig und denke nur noch nach. Ich kann teilweise nicht mehr schlafen, weil ich nur nachdenke und viele weitere Sachen lese. Ich kann nicht gut unterscheiden, was davon wirklich wahr ist und was nicht. Ich habe Ihr Buch, ‚Wie verstehen Sie den Koran, Herr Imam?‚ gelesen, dort stehen 50 klare Gebote und Verbote im Koran.

Wenn ich aber Fatwas im Internet lese finde ich deutlich mehr Dinge, wie zum Beispiel das Verbot von Nagellack. Ich bin Bankkauffrau und mein Beruf ist daher harram, da ich mit Zinsen und Versicherungen handle. Das heißt auch mein Beruf wäre nicht ok. Alles verunsichert mich und ich weiß nicht was wirklich richtig ist. Es kommt noch dazu, dass ich nichtmuslimische Eltern habe, welche Weihnachten feiern.

Ich gehe gerne auf den Weihnachtsmarkt und verbringe Weihnachten auch mit der Familie und Verwandtschaft. So wie ich es von Shaikhs im Internet verstanden habe ist das dann auch nicht mehr ok, da man keine Tradition von anderen Religionen ausüben darf. Wenn ich also eine gute Muslima werden will, dann muss ich quasi mein ganzes Leben ändern. Es bleibt dann nicht mehr viel. Ich bin teilweise nicht mehr so sicher ob diese Entscheidung, den Islam anzunehmen, richtig war.

Es kommen so viele Pflichten auf mich zu und ich weiß nicht wie ich das alles machen soll. Egal was ich Google es kommt immer dabei raus, dass irgendwer sagt, dass es nicht erlaubt ist. Ich fühle mich jedes Mal schlechter und weine, weil ich denke, dass ich mit vielen Geboten und Verboten konfrontiert bin. Das was Sie in Ihrem Buch sagen hört sich alles deutlich entspannter und freier an, aber ich habe Angst, dass ich etwas falsch mache wenn ich mich danach richte. Und aus Angst, dass etwas falsch ist lasse ich es dann doch.

Das ganze belastet mich einfach sehr und ich weiß nicht was ich machen soll. Ich kann nicht einmal in eine Moschee gehen, weil ich Angst habe. Ich habe Angst, dass ich dort dann komplett alleine sitze und nicht verstehe und ich habe Angst von anderen gesehen zu werden. Dazu kommt, dass es in meiner Stadt zwei Moscheen gibt. Bei beiden ist schon die komplette Webseite auf Türkisch, auf Deutsch findet dort gar nicht statt. Daher frage ich mich auch wie sinnvoll es wäre dort hinzugehen. Insgesamt weiß ich einfach gar nicht was ich jetzt mit mir und dem Islam anfangen soll.“

Liebe Geschwister,

auf diese Klage von dieser Schwester, möchte ich gern folgendes sagen:

Die Intention und das Ziel des Islam war nicht, das Leben von Menschen zu erschweren, sondern Menschen glücklich zu machen:

„Wir haben den Koran nicht auf dich, (oh Mensch) herabgesandt, um dich unglücklich zu machen.“

(20/Ta-Ha, 2).

Der Prophet dieser Offenbarung, Muhammad, wurde an alle Menschen entsandt, um frohe Botschaft zu verkünden (34/Saba´, 28). Der Koran erteilt den Menschen nicht nur Gebote und Verbote, sondern gibt ihnen auch Tipps, Weisheiten und Denkanstöße, die die verschiedenen Aspekte des Alltagslebens umfassen.

Auch die Gebote Gottes im Koran sind grundsätzlich dazu da, Menschen zu entlasten und nicht zu einer Last zu werden. Der Prophet Muhammad ist beauftragt, „… um die Lasten von Menschen zu nehmen“ (7/al-A´raf, 157). Dieser Vers bezieht sich auf viele strenge Rituale und Verpflichtungen, die im mosaischen Gesetz niedergelegt sind, wie auch auf die aus den Lehren der Evangelien abgeleiteten Tendenzen zur Askese.

Je mehr die Menschen in ihren Auslegungen und Praxen zu Askese und Extremen neigen, desto weiter entfernen sich vom „mittleren Weg“ (2/al-Baqara, 143). Und diejenigen, die sich zu Muhammads Botschaft bekennen, zugleich aber in seinem Namen mit „Lasten und Fesseln“ ihr eigenes oder das Leben von anderen Gläubigen erschweren, entfernen sich unbewusst von mittlerem und moderatem Weg des Propheten, der gesagt hat:

„O ihr Menschen! Hütet euch vor der Übertreibung in der Religion! Denn diejenigen, die vor euch waren, sind wegen der Übertreibung in der Religion zugrunde gegangen.“

(Überliefert von Ibn Madscha).

Diese Menschen tun es oft auf so unbegreifliche Art und Weise, dass kein vernünftiger Mensch ihr hartnäckiges und abwertendes Religionsverständnis nachvollziehen, geschweige denn rechtfertigen kann. Sie verbreiten falsche Vorstellungen über den gemäßigten und weltoffenen Islam, sodass noch die nachfolgenden Generationen viel damit beschäftigt sein werden, zu korrigieren, was sie verfälschen und das Bild, welches in der Allgemeinheit über den Islam herrscht, zu entzerren.

Der Mensch, vor allem der Muslim, soll die gesamte Offenbarung Gottes mit der Brille der Sanftmütigkeit und nicht der Härte lesen. Für diejenigen, die sich mit dem Islam identifizieren, bzw. der Botschaft des Korans und dem Weg des Propheten Muhammad folgen, ist wichtig zu wissen:

„Gott will euch keinerlei Härte auferlegen, sondern will euch rein machen und euch das volle Maß Seiner Segnungen erteilen, auf dass ihr Grund haben möget, dankbar zu sein.“

(5/al-ma’ida, 6).

Gott hat Seinen Weg als „leicht“ bezeichnet, weil er Menschen nicht mit Schwierigkeiten bedrängen will, weil die Religion für den Menschen da ist und nicht der Mensch für die Religion. Darin also besteht die Intention der Offenbarung: den Wünschen und Bedürfnissen des Menschen zu entsprechen, seinen Sorgen und Qualen zu begegnen, die menschliche Seele zur Ruhe kommen zu lassen.

Dafür dienen auch die spirituellen und rituellen Handlungen: Die tägliche rituelle Waschung erfrischt und reinigt die äußeren Organe; die täglichen Gebete bescheren den Menschen Entspannung und Ruhe in der hektischen Welt; das Fasten reinigt die belasteten Innenorgane; die Rezitation des Korans und ihr Zuhören beruhigen das Herz, sich mit der Deutung der Verse auseinanderzusetzen schult das Gehirn.

Religion soll Menschen inspirieren, motivieren, trösten, beruhigen, entlasten und nicht bedrängen und ängstlich machen: „Er ist es, der euch erwählt hat (Seine Botschaft zu tragen) und euch keine Härte in (irgendetwas bezüglich) der Religion auferlegt und euch dem Glaubensbekenntnis eures Vorvaters Abraham (folgen ließ).“ (22/al-Hadsch, 78). Gott äußert Seinen Willen: „Gott will, dass ihr Erleichterung habt, und will nicht, dass ihr Härte erleidet.“ (2/al-Baqara, 185). Anderes ausgedrückt: Dort wo die Religion, der Islam, in einer moderaten und entspannten Art und Weise interpretiert, gepredigt und gelebt wird, dort wo Hoffnung, Zuversicht und Gnade gespendet werden, dort ist auch der Wille Gottes.

Daraus geht deutlich hervor, dass Gott durch seine Religion, al-Islam, und durch eine Reihe von Offenbarungen, die er mit dem Koran zum Abschluss brachte, nichts geboten haben kann, was den Menschen unglücklich machen oder belasten würde: „Gott fordert von keiner Seele etwas über das hinaus, was sie zu leisten vermag.“ (2/al-Baqara, 286). Die Seele dessen, der in seinem Inneren sowohl mit sich selbst als auch mit seinem Schöpfer zufrieden ist, wird im Paradies zu ihrer endgültigen, ihrer letzten Ruhe finden:

„Oh du Mensch, der inneren Frieden erlangt hat! Kehre du zurück zu deinem Erhalter, wohlzufrieden (und Ihn) zufriedenstellend: gehe denn ein zusammen mit Meinen (anderen wahren Dienern) – ja, gehe du ein in Mein Paradies!“

(89/al-Fadschr, 27-30).

Jede religiöse Doktrin, alle Normen und Weltanschauungen sollten sich auf dieses Ziel fokussieren: den Menschen glücklich zu machen, sein Leben froh und erfüllt zu gestalten und ihn zu diesem Ziel hinzuführen.

Erschienen auf facebook

Benjamin Idriz

Benjamin Idriz dürfte der einzige Imam Deutschlands sein, der promovierter islamischer Theologe ist und zugleich auf deutsch schreibt. Beides – die Praxisbezogenheit des Seelsorgers und die wissenschaftliche Vertrautheit mit den Quellen – zeichnet sein neues Buch aus. Mit diesen Qualitäten ragt es aus einer wahren Flut von Veröffentlichungen aller Art über die „Frauenfrage“ im Islam wohltuend heraus.

Der Autor ist seit vielen Jahren weit über die oberbayerische Kleinstadt Penzberg, wo er als Imam wirkt, und über München, wo er das „Münchner Forum für Islam“ initiiert hat, bekannt: Sein Wirken und Schaffen gilt einem authentischen Islamverständnis, das mit den Wertvorstellungen der deutschen und europäischen Gesellschaft unserer Zeit nicht nur kompatibel ist, sondern die gemeinsamen Werte aus den Quellen des Islams – dem Koran und der Tradition der Propheten – ableitet.

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