Ein Gastbeitrag von Adil Schamiyev
Die Außenpolitik Teherans gegenüber den Nachbarländern in der Region scheint aus allen Nähten zu platzen. Das Mullah-Regime ist nicht willens, den militärischen Sieg Aserbaidschans während des 44-tägigen Krieges um die Region Bergkarabach zu „verdauen„ und sein geopolitisches Debakel zu akzeptieren.
In den Beziehungen zwischen Baku und Teheran hat es schon immer einige Ecken und Kanten gegeben. In solchen Fällen haben beide Seiten in der Regel zu den diplomatischen Mitteln gegriffen, um eine Eskalation zu vermeiden. Doch die feindselige Haltung des benachbarten Irans mit allen sich daraus ergebenden Konsequenzen sorgt in Baku verstärkt für Unmut. Auslöser für die jüngste Abwärtsspirale in den Beziehungen waren Militärübungen Irans, Behauptungen über eine israelische Militärpräsenz in Karabach und die Einführung von Grenzkontrollen für iranische Transportfahrer durch Aserbaidschan an einer Autobahn, die über die Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan läuft.
Heuchelei oder Kraftprotzerei der Mullahs?
Am 01.10. hat Iran im Nordwesten des Landes, nahe der Grenze zu Aserbaidschan, das Militärmanöver mit dem symbolischen Namen „Eroberer von Khaybar“ gestartet. Die Übungsbezeichnung ist eine Anspielung auf die Schlacht von Khaybar im Jahr 628 n. Chr., als Muslime unter Mohammeds Führung gegen die Juden besiegten und ihnen Steuer auferlegten. Hintergrund der Spannungen ist die enge Zusammenarbeit zwischen Aserbaidschan und Israel, dem Erzfeind Irans.
Der jüdische Staat liefert als wichtiger strategischer Verbündeter moderne Waffensysteme an Baku. Dieses Bündnis ist dem Iran seit Langem ein Dorn im Auge. Iranische Offizielle betonten, die Übung sei als „Botschaft“ an Israel und den Islamischen Staat gerichtet und warnten, Teheran werde alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um seine Grenzen zu verteidigen. Für Iran stellt die wachsende Präsenz Israels vor seiner Haustür ein dringendes Sicherheitsproblem dar, da diese zunehmend als Kernpolitik der Konfrontation mit Teheran wahrgenommen wird. Welchem Zweck dient das Vorgehen der iranischen Verantwortlichen?
Eine Logik festzustellen, ist unmöglich. Aserbaidschan wird definitiv nicht aufhören, Waffen von Israel zu kaufen, da dies eine interne Angelegenheit des Staates ist. Auf der anderen Seite sind die israelischen Waffen der aserbaidschanischen Armee nicht gegen Teheran gerichtet. Baku erwirbt die Waffen nicht zu Offensivzwecken gegen befreundete Nachbarländer, sondern für die Verteidigung eigener Territorien, wie der Ausgang des Karabach-Krieges zeigte. Die iranische Führung täte gut daran, ihre geostrategischen Prioritäten neu zu definieren, anstatt „das beleidigte Kind“ zu spielen, dem der Ball weggenommen wurde.
„Sangesur-Korridor“. Störfaktor für Irans Machtstellungen
Die Regierung in Baku kritisierte die Militärübungen in unmittelbarer Nähe seiner südlichen Grenzen. Es sei zwar ein „souveränes Recht“ des Irans, auf eigenem Boden Manöver durchzuführen, so der aserbaidschanische Staatschef Ilham Alijew in einem Interview für die türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Montag.
„Doch warum jetzt und warum an unserer Grenze?“
Man sei überrascht über diese Entscheidung. Die Übungen dieses Ausmaßes seien nach dem Fall der Sowjetunion in nordwestlichen Grenzen Irans nie abgehalten worden. Der am 9. November 2020 unterzeichnete trilaterale Neunpunkteplan beendete nicht nur die Kriegshandlungen in Bergkarabach, sondern sieht auch die Öffnung aller Kommunikationswege vor, was für Teheran höchst unzufriedenstellend war, denn diese wird der Abhängigkeit Aserbaidschans vom Iran, Stichwort Autonome Republik Nachitschewan, die nur über iranisches Territorium erreichbar ist, ein Ende setzen.
Der Sangesur-Korridor ist ein Überlandkorridor, den Baku durch Südarmenien bauen möchte, um eine Verbindung zur Enklave Nachitschewan an der Grenze zur Türkei herzustellen. Iran befürchtet, der Plan, der im Rahmen der Waffenstillstandserklärung vereinbart wurde, könne ihn von der weiteren Region abschneiden. Daher wird der Korridor in Teheran als „Veränderung der internationalen Grenzen“ eingestuft.
Hinterhältige Politik des Iran in Karabach
Aserbaidschan ist weitestgehend bemüht, die Transparenz in seinen Beziehungen zum Iran aufrechtzuerhalten und ist zurecht unzufrieden mit dem illegalen Transitreisen der iranischen Transportfahrzeuge durch den Latschin-Korridor in den armenisch bewohnten Teil von Karabach, in dem russische Friedenstruppen stationiert sind. Aserbaidschans Präsident Aliyev wies in einem Interview mit türkischen Medien am 27. September darauf hin, Baku hätte zwischen dem 11. August und dem 11. September 2021 60 iranische Lastwagen beobachtet, die die genannte Straße benutzten.
Durch die Errichtung von Kontrollposten an der armenisch-aserbaidschanischen Staatsgrenze sei die Zahl der iranischen Lastwagen, „auf Null gesunken“. Außerdem hätten die iranischen Lastwagen zu Täuschungszwecken armenische Kennzeichen getragen. Diese sei nun aufgedeckt – so Aliyev. Aserbaidschan hat auch damit begonnen, iranische Lastwagen auf der Autobahn Goris-Kapan, die Armenien mit dem Iran verbindet und teilweise unter aserbaidschanischer Kontrolle steht, zu kontrollieren und zu besteuern. Am 15. September 2021 verhaftete die aserbaidschanische Polizei zwei iranische Lastfahrer entlang dieser Strecke und beschuldigte sie, illegal in das aserbaidschanische Hoheitsgebiet eingereist zu sein. Der iranische Botschafter in Aserbaidschan traf sich mehrmals mit hochrangigen aserbaidschanischen Beamten zusammen, um das Problem zu lösen, doch seine Bemühungen blieben erfolglos.
Iranischer TOP-Diplomat in Moskau: Iran fühlt sich im Stich gelassen
Während des Moskauer Treffens besproch der iranische Außenminister Hossein Amirabdollahian mit dem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow die derzeitige Lage im Südkaukasus, nämlich dass sich die Situation in der Region angeblich in Richtung geopolitischer „Veränderungen“ und „Veränderungen der politischen Landkarte“ bewegt, womit Teheran nicht einverstanden ist. Bei der Pressekonferenz stellte ein iranischer Journalist dem russischen Minister eine Frage, dass Aserbaidschan angeblich versuche, die militärische Präsenz dritter, überregionaler Streitkräfte(Journalist meinte hier natürlich die Türkei) im Kaspischen Meer sicherzustellen, was angeblich dem Übereinkommen über den Rechtsstatus des Kaspischen Meeres widerspreche.
Es ist anzumerken, dass die iranische Seite das von den Staats- und Regierungschefs Russlands, Irans, Aserbaidschans, Kasachstans und Turkmenistans 2018 unterzeichnete Dokument noch nicht ratifiziert hat. Lawrow erklärte hier übrigens auch klar und deutlich, dass Russland darauf wartet, dass das iranische Parlament das Dokument so bald wie möglich ratifiziert.
Die Schlussfolgerung, die wir aus dem Lawrow-Abdullahian-Treffen ziehen können:
1. Obwohl Russland mit dem Iran verbündete Beziehungen unterhält, sei die Eskalation der Lage in der Region nicht zu Gunsten Moskaus;
2. Russland macht dafür den Iran verantwortlich, sonst hätte Lawrow Bakus Besorgnis nicht zum Ausdruck gebracht;
3. Es scheint, dass für die iranische Seite die Verhandlungen nicht fruchtbar verliefen. Vor dem Treffen sagte Abdullahian, er erwarte eine sensible Reaktion Russlands auf die Existenz von „Zionismus“ und „Terrorismus“ in der Region, während Lawrow gar anderer Meinung war;
4. Iran wird seine Rhetorik abmildern – Es gab keine Unterstützung seitens des Kremls;
So machte sich der Iran, der haltlose und unbegründete Anschuldigungen gegen Aserbaidschan erhoben hat, lächerlich und erhielt eine „Ohrfeige“. Welche Reaktion hätte Teheran als Antwort auf eine derart dreiste Missachtung der territorialen Integrität Aserbaidschans gewartet? Baku hat jedenfalls diplomatisch klar gemacht, solche Aktionen können die langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen beiden Ländern nur noch abkühlen. Dem iranischen Botschafter wurde eine sehr klare und verständliche Erklärung gegeben und eine Protestnote überreicht. Teheran sei angeblich besorgt über die Präsenz des „zionistischen Regimes“ in Aserbaidschan. Merkwürdig ist jedoch, wie die iranische Seite eine solche „Präsenz“ feststellen konnten. Diese Behauptung entbehrt jeder Grundlage, da es schlichtweg keine Beweise gibt.
„Irans dunkle Geschäfte in Berg Karabach“
Aus rein strategischen Überlegungen betrieb Teheran während des Herbstkrieges 2020 ein doppeltes Spiel, indem man einerseits enge Beziehungen zu Armenien pflegt, andererseits, wenn auch passiv, die territoriale Unverletzbarkeit Aserbaidschans unterstützte. Für Schlagzeilen im Herbst 2020 sorgten auch die in sozialen Medien verbreiteten Foto- und Videobeweise über vermutete Waffenlieferungen über den iranischen Grenzübergang Norduz nach Armenien.
Auch wurde gemeldet, Iran habe seinen Luftraum für mögliche Waffenlieferungen an Armenien bereitgestellt. In allen Fällen dementierten zwar die iranischen Offiziellen etwaige Meldungen, doch das ohnehin stark beschädigte Ansehen Teherans bekam dadurch ernsthafte Risse. Iran und Aserbaidschan teilen eine gemeinsame Grenze, die sich über 600 Kilometer lang erstreckt. Bedingt durch die armenische Besatzung waren davon etwa 132 Kilometer zwischen 1994-2020 der Kontrolle Bakus entzogen. Der geschichtsumwobene Fluss Arax (Aras) bildet dabei den wichtigsten Grenzübergangspunkt. In den vergangenen 28 Jahren wurde dieser Fluss als durchlässige Grenze für illegalen Drogenhandel genutzt.
Von der südarmenischen Stadt Megri im Westen bis zum aserbaidschanischen Horadiz im Osten (die noch bis vor wenigen Monaten von Armenien kontrolliert wurde) dehnte sich ein großes Gebiet aus, in dem Drogendealer ungehindert Ihre florierenden Geschäfte betreiben konnten. Sie nutzten dabei die Abgeschiedenheit der Gegend aus, wobei das iranische Territorium als eine beliebte Schmuggelroute für Drogenlieferungen aus Afghanistan darstellte. Die iranischen Lastwagen fuhren ungehindert über die Grenze nach Bergkarabach, vollgepackt mit afghanischem Heroin und mit freundlicher Genehmigung der iranischen Revolutionsgarde.
Geschützt wurde dieser Transportweg von der iranischen Quds-Einheit, einer Elitetruppe der Revolutionsgarden. Das besetzte Bergkarabach galt als Hintertür. Von hier aus gingen die Drogen über Armenien weiter nach Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Österreich, Tschechien, Polen, Deutschland und in andere Länder Europas. Die Behörden der separatistischen „Republik Bergkarabach“ unternahmen nichts, um das schmutzige Geschäft zu bekämpfen. Im Gegenteil hatten diese selber einen lukrativen Anteil daran.
Fazit: Die Hysterie an der Grenze zu Aserbaidschan, das spontane Militärmanöver und die bewusst verdrehten Erklärungen der politischen Elite und religiösen Anführer Irans sind nichts anderes als Angst vor einem erstarkten Aserbaidschan in seinen nördlichen Grenzen. Doch nicht nur Iran, in dem übrigens über 20 Millionen Aserbaidschaner leben, sondern auch andere Länder, die Bakus Macht und kalibrierte Strategie bisher unterschätzt hatten, werden sich mit neuen geopolitischen Realitäten abfinden müssen.
Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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