Ein Gastbeitrag von Thomas Weiberg – Historiker
1912 bereits bildete sich in Berlin ein Ausschuss, dessen Ziel die Gründung einer deutsch-osmanischen Hochschule am Bosporus war. Mit der 2010 ins Leben gerufenen Türk-Alman Üniversitesi in Istanbul wurde dieses Vorhaben erst knapp ein Jahrhundert später Wirklichkeit.
Ebenfalls in Berlin wurde im Februar 1914 unter dem Protektorat des Auswärtigen Amtes die Deutsch-Türkische Vereinigung gegründet, der hochrangige Repräsentanten beider Staaten aus Diplomatie, Militär und Wirtschaft angehörten. Den Vorsitz übernahm Arthur von Gewinner, der maßgeblich am Eisenbahnbau im Osmanischen Reich beteiligte Direktor der Deutschen Bank.
Drei Jahre später, im Jahr 1917, hatte die Deutsch-Türkische Vereinigung bereits mehr als 5000 Mitglieder deutschlandweit und unterhielt ein verzweigtes Netz von Landes- und Ortsgruppen. Der in dieser Hinsicht stets pragmatische Wilhelm II. legte allen Bankiers, Politikern sowie Großunternehmern den Eintritt in diese Vereinigung ausdrücklich nahe, wollten sie Einfluss auf die Orientpolitik nehmen oder ihre Erzeugnisse im Osmanischen Reich absetzen.
Bereits 1845 war in Leipzig die noch heute bestehende Deutsche Morgenländische Gesellschaft gegründet worden, um hauptsächlich die Sprachen und Kulturen des Orients zu erforschen. Nach 1895 folgten ihr verschiedene wissenschaftliche und politische Gesellschaften, die alle Ausdruck des zunehmenden deutschen Interesses am Orient sowie der bekennenden Orientpolitik der Nach-Bismarck-Ära waren.
1896 wurde die Vorderasiatische Gesellschaft begründet, die Deutsche Orient-Gesellschaft folgte 1898, und im Oktober 1901 gründete sich die Münchner Orientalische Gesellschaft. Die Gesellschaft für die wissenschaftliche Erforschung Anatoliens folgte 1904. Das Vorderasien-Komitee wurde 1908 begründet, 1912 die Gesellschaft für Islamkunde. Noch im Frühjahr 1917 formierte sich in München der Deutsch-Türkische Verein e. V., zu dessen Mitgliedern Repräsentanten der Finanz- und Wirtschaftswelt sowie der Politik zählten.
Die genannten Gesellschaften entfalteten zumeist eine erhebliche publizistische Tätigkeit, um einem interessierten (Fach-)Publikum ihre Themen und Forschungen zugänglich zu machen. Im Jahr 1910 betrug die Zahl der mit dem Osmanischen Reich befaßten Gesellschaften und Vereinigungen im gesamten Deutschen Reich immerhin 45, während des Ersten Weltkrieges lag sie zeitweilig bei 178 Einrichtungen.
Viele Deutsche waren von einer wahren Begeisterung für den Verbündeten am Bosporus ergriffen — und wenn sie nicht an eine direkte Kolonialisierung dachten, so leitete sie die Idee der Durchdringung des Osmanischen Reiches im Sinn deutschen Geistes. Begünstigt durch die Isolierung der Mittelmächte während des Ersten Weltkrieges erreichte der deutsche Kulturimperialismus bezogen auf das Osmanische Reich nach 1914 seinen Höhepunkt. Gleichzeitig bremste das erstarkende türkische Nationalbewusstsein der jungtürkischen Ära ab 1909 den deutschen Einfluss auf einigen Gebieten jedoch.
Die Deutsch-Türkische Vereinigung war durch ihre prominenten Mitglieder und das Wohlwollen Kaiser Wilhelms II. hinsichtlich der Gestaltung der gemeinsamen Beziehungen eine einflussreiche Lobbyorganisation. Ihre Mitgliederzahl nahm stetig zu. Waren es bei ihrer Gründung 180, so zählte die Vereinigung Ende 1915 über 1500 Mitglieder, von denen 43 Prozent aus Verwaltung und Politik stammten, 57 Prozent gehörten dem Bankwesen sowie der Wirtschaft an.
Das lebhafte Interesse an der Deutsch-Türkischen Vereinigung blieb in den folgenden Kriegsjahren ungebrochen — im Sommer 1918 umfasste sie rund 5500 Mitglieder in zahlreichen Ortsvereinen des gesamten Landes. Angesichts einer Einwohnerzahl von etwa 65 Millionen Menschen im Deutschen Reich kann dennoch nicht von einer Turkomanie unter den Deutschen gesprochen werden, das Interesse an einer Vereinsmitgliedschaft blieb zumeist auf Angehörige von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Militär sowie einige Wissenschaftler beschränkt.
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