Start Politik Ausland Bergkarabach-Konflikt „Armenien möchte Russland zur militärischen Intervention bewegen“

Bergkarabach-Konflikt
„Armenien möchte Russland zur militärischen Intervention bewegen“

"In der Nacht von Freitag auf Samstag hat Armenien wieder die zweitgrößte Stadt Aserbaidschans Gandscha mit ballistischen Raketen angegriffen und dabei starben nach Medienberichten 13 Zivilisten, darunter 3 Kinder. Wie ich bereits in einem anderen Beitrag erklärt hatte, stellen die Angriffe auf Wohngebiete bzw. Zivilisten ein Kriegsverbrechen dar." Ein Kommentar.

Der russische Staatspräsident Wladimir Putin (Archivfoto: AA)
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Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge –

 kboelge@web.de

In der Nacht von Freitag auf Samstag hat Armenien wieder die zweitgrößte Stadt Aserbaidschans Gandscha mit ballistischen Raketen angegriffen und dabei starben nach Medienberichten 13 Zivilisten, darunter 3 Kinder. Wie ich bereits in einem anderen Beitrag erklärt hatte, stellen die Angriffe auf Wohngebiete bzw. Zivilisten ein Kriegsverbrechen dar.

Jetzt haben einige Medien über den Raketenangriff berichtet. Das Entscheidende jedoch ist, wie sie darüber berichtet haben. Die Ausgabe der F.A.Z. vom 17. Oktober 2020 veröffentlichte dazu eine Meldung mit der Schlagzeile „Raketenangriff fordert zahlreiche Tote in Gandscha“ und unter dem Titel eine kurze Zusammenfassung, wonach Scud Raketen mehrere Häuserreihen zerstört hätten.

Ein neugieriger Leser wird sich fragen, von wo bzw. wer diese Raketen abgefeuert hat. Zunächst wird auf den Einschlag und die Zahl der Todesopfer hingewiesen, um dann gleich darauf hinzuweisen, dass Armenien jegliche Beteiligung zurückgewiesen habe und Aserbaidschan beschuldigt hätte, selbst hinter dem Angriff zu stecken. Darüber hinaus wird die Anschuldigung „armenischer Kräfte“ betont, wonach Aserbaidschan zivile Ziele in Berg-Karabach angegriffen habe.

Der nächste Satz hat es allerdings in sich. Nach armenischen Angaben gebe es in Gandscha eine „Reihe von militärischen Einrichtungen, ein Flugplatz, Spezialkräfte sowie Benzin- und Munitionsdepots.“ Gemäß dem Fall Armenien steckt nicht hinter dem Angriff auf eine Stadt, die 60 km von Kriegsgebiet entfernt liegt, warum wird dann auf militärische Einrichtungen in Gandscha hingewiesen?

Die mögliche Antwort könnte lauten: Armenien steckt sehr wohl hinter dem Angriff auf Zivilisten, weil es mit dem Beschuss von Wohngebieten Aserbaidschan provozieren möchte, um damit Russland zur militärischen Intervention zu bewegen. Armenien und Russland sind Mitglied der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS). Laut aserbaidschanischen Medien existieren in der Stadt Gandscha keine militärischen Einrichtungen. Welche Reaktion zeigte die internationale Staatengemeinschaft auf die armenischen Angriffe?

Die Türkei hat die Angriffe auf aserbaidschanische Städte und Gemeinden scharf verurteilt. Russland wies auf den Waffenstillstand hin, die eingehalten werden müsse. Die EU habe den Beschuss der aserbaidschanischen Stadt „bedauert“, wie auch die F.A.Z. zu den Reaktionen von Russland und der EU geschrieben hat. Es ist bezeichnend, wenn die EU den Angriff auf aserbaidschanische Wohngebiete „bedauert“ oder Russland auf den vereinbarten Waffenstillstand hingewiesen hat, denn sowohl Russland als auch Frankreich stehen der Minsker-Gruppe vor, die seit 26 Jahren den Status quo, also die völkerrechtswidrige Besetzung aserbaidschanischen Territoriums, ausgesessen haben.

Die eigentliche Aufgabe dieser Minsker-Gruppe bestand darin zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln und eine Lösung für diesen ungelösten Konflikt zu finden. Stattdessen wird Armenien geradezu ermutigt, weitere Kriegsverbrechen zu begehen.
Das Armenien den Angriff auf Gandscha abstreitet und stattdessen Aserbaidschan beschuldigt, ist nichts Neues in der armenischen Propagandamaschinerie. Schauen wir auf das Jahr 1992, als armenische Einheiten ein Massaker in der Ortschaft Hodschali begingen, bei dem 613 aserbaidschanische Zivilisten grausam getötet und 1.275 deportiert wurden.

Auch damals bestritt Armenien das Kriegsverbrechen und beschuldigte wie heute Aserbaidschan für das Massaker verantwortlich zu sein. Der frühere Spiegel-Reporter Erich Wiedemann war bei der armenischen Offensive vor Ort und berichtete über Gräueltaten armenischer Einheiten. Hier ein Auszug aus seiner erschütternden Reportage, nachzulesen im Spiegel, Smartes Stück Kolonialismus vom 18.10.1993, S. 215.:

„Daß die karabachischen Landsleute nach der Erstürmung von aserbaidschanischen Orten zurückgebliebene Zivilisten, vorwiegend Alte und Kinder, gruppenweise mit Kälberstricken zusammenbanden und dann mit Maschinengewehren erschossen, wird in Rumpfarmenien nicht prinzipiell bestritten. Wenn es Massaker gegeben habe, so sei es gewiß auf die Erregung über vorausgegangene aserbaidschanische Greueltaten zurückzuführen, hieß es in Eriwan.

Der Bauer Suleiman Abdulajew aus Gari Gyschlag, einem Dorf im Korridor zwischen Karabach und Armenien, beobachtete aus einem Versteck, wie eine armenische Einheit einen Autobus mit 43 Frauen, Kindern und alten Männern überfiel, dem der Sprit ausgegangen war. ‘Kein Sprit?’ rief der Kommandeur. ‘Wir helfen euch.’ Er ließ im Bus zwei Kannen Benzin ausschütten und legte dann Feuer. Wer aus dem brennenden Autobus zu fliehen versuchte, wurde erschossen. Suleiman Abdulajew sagt, er werde die Schreie der Kinder in dem brennenden Bus nie im Leben vergessen. ‘Ich werde nie wieder einem Armenier in die Augen sehen können, ohne ihn zu hassen.’“

Bis heute prägt vor allem das Massaker von Hodschali die aserbaidschanische Gesellschaft und ist zu einem Synonym für armenische Kriegsverbrechen geworden. Ich kann die Spiegel-Reportage von Erich Wiedemann über den Krieg um Berg-Karabach als Lektüre nur empfehlen, da der Journalist für keine Seite Partei ergriffen hatte, sondern die Situation so beschreibt, wie es tatsächlich war. Solche investigativ arbeitenden Journalisten vom Schlage Wiedemanns könnte es ruhig mehr geben.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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