Start Politik Ausland Militäroffensive "Friedensquelle" Kommentar: Türkei gibt USA Gelegenheit, Vereinbarung vom vergangenem Jahr umzusetzen

Militäroffensive "Friedensquelle"
Kommentar: Türkei gibt USA Gelegenheit, Vereinbarung vom vergangenem Jahr umzusetzen

Der türkische Außenminister Cavusoglu hat während einer Pressekonferenz in Ankara die Ergebnisse des heutigen Treffens zwischen US-Vizepräsident Mike Pence und dem türkischen Präsidenten Erdogan in Ankara bekannt gegeben.

(Foto: Screenshot)
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Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Der türkische Außenminister Cavusoglu hat während einer Pressekonferenz in Ankara die Ergebnisse des heutigen Treffens zwischen US-Vizepräsident Mike Pence und dem türkischen Präsidenten Erdogan in Ankara bekannt gegeben.
Cavusoglu betonte in seinen Ausführungen zur Vereinbarung erneut, dass die Türkei an ihrer Staatsdoktrin festhält und so lange die Operation fortsetzen wird, wie die kurdische YPG sich in den von ihr besetzten Gebiete aufhält. Außerdem unterstrich Cavusoglu, dass die Türkei mit Terroristen keine Verhandlungen führen oder Vereinbarungen treffen werde. Was bedeutet das?
Die Türkei gibt mit der Vereinbarung mit den USA, der YPG jetzt quasi Zeit, sich anständig bzw. zivilisiert und im Interesse der syrischen Zivilisten der betroffenen Region, aus der Region zurückzuziehen und dabei doch gefälligst die schweren Waffen zurückzulassen, die neu errichteten Bunker- und Tunnelanlagen, unterirdischen Waffendepots sowie Munition zu zerstören oder gleich den USA zu übergeben, von der sie es ja lastwagenweise bekommen haben. Den USA gibt die Türkei die Gelegenheit, ihre Zusagen zur ersten Vereinbarung vom vergangenem Jahr nun in schnellen Schritten umzusetzen.
Die Türkei hat mit der gegenwärtigen Vereinbarung selbstverständlich auch den internationalen Druck abgebaut, der auf ihr seit Beginn der Operation „Friedensquelle“ lastet. Zudem hat der US-amerikanische Präsident zumindest für kurze Zeit den Druck, der auf ihm lastet, abgefedert.
Ob die Vereinbarung in den nächsten 120 Stunden auch von den USA umgesetzt werden kann, steht aber in den Sternen. Bereits seit Anfang des vergangenen Jahres drängt die Türkei die USA, die YPG östlich des Euphrats zurückzudrängen und so den eigenen Sicherheitsinteressen entgegenzukommen. Am 9. Oktober 2019 um 16 Uhr war die Geduld der Türkei aber am Ende, die Militäroperation „Friedensquelle“ wurde gestartet.
Zuvor hatte die Türkei alle diplomatischen Kanäle ausgeschöpft und verdeutlicht, welche Sicherheitsinteressen der Türkei hier tangiert werden. Um auch politischen Druck auf die USA auszuüben, wurde zwei Tage zuvor dem türkischen Parlament das Mandat zum Auslandseinsatz vorgelegt und mit überwältigender Mehrheit erteilt.
Nun hat die USA der Türkei diese eigentlich bereits bestehende Vereinbarung um den Status quo erweitert und erneut einen „Deal“ herausschlagen können, die innerhalb von fünf Tagen umgesetzt werden soll.
Die kurdische YPG hat diese heutige Vereinbarung bislang nicht kommentiert. Ihre Aktivisten in der EU und den USA sind im Eifer des Gefechts noch weiterhin damit beschäftigt, Todesopfer unter den „Dschihadisten“ in den Reihen des türkischen Vormarschs zu zählen und gepanzerte Mannschaftswagen in sozialen Netzwerken zu verbreiten, die die YPG erbeutet habe. Nebenbei deckt man noch kräftig jede Menge „Kriegsverbrechen“ der Türkei auf, werden Rückeroberungen von Hühnerställen bekanntgegeben oder Durchhalteparolen geschwungen. Seit jüngsten wird das Gerücht verbreitet, die türkische Armee verwende Giftgas gegen ihre „Kämpfer“ und Zivilisten. Einen Beweis bleibt sie zwar schuldig, aber was einmal in die Welt ausgesetzt wurde, findet begierige Abnehmer dieser Meldung.
Seit 2011 pocht die Türkei auf eine UN-Schutzzone mit Blauhelmsoldaten, damit der Krieg in Syrien beendet wird und die Binnenflüchtlinge eine sichere Zone finden in der sie nicht sterben müssen. Keiner rührte sich, niemand erhob den moralischen Zeigefinger, niemand unternahm was. Dramatische Ereignisse überschatteten über Jahre hinweg diese Untätigkeit der Weltgemeinschaft, vor allem Europa und die USA. Acht Jahre tobt dort bereits auf breiter Front der Krieg mit unendlich viel Leid, Tod und Elend. Aber merkwürdigerweise war der Aufschrei aus den USA und Europa noch nie so groß wie in den letzten acht Tagen; seit die Türkei ihre Militäroperation gestartet hat.
Ich wäre nach diesem Statement von Cavusoglu jedenfalls nicht überrascht, wenn sich die Stimmung in Europa oder in den USA, die bislang eine sofortige Beendigung des „Angriffskriegs“ forderten, in Kürze umkippt und in Kriegsgeheule fortgesetzt wird. Dann wären die einstigen Pazifisten in Europa, den USA oder gar auch in der Türkei, zwar moralisch verpflichtet, sich dahingehend auch zu erklären, aber in diesem Konflikt mit einer Terrororganisation ist nichts unmöglich. Diese Pazifisten und „Antifaschisten“ werden dann dahingehend in ein moralisches Dilemma geraten; was aber nicht bedeutet, dass das kein Hindernis ist, die man bewältigt und die ersten ihre vorherigen Botschaften nach Frieden und „Stop den Krieg“ geflissentlich unter den Teppich kehren werden.
Mit Spannung erwarte ich aber auch die mediale Berichterstattung in den heimischen Gefilden. Wie werden sie die Vereinbarung aufnehmen und welche Reaktionen wird es mit sich bringen? Denkbar wäre, dass die einstigen wortgewaltigen Begriffe, die der Türkei während dieser Militär-Operation Verbrechen an der Menschheit nahelegten, plötzlich aus dem Vokabular verschwinden.
Im Endergebnis ist diese Vereinbarung ein Schlag ins Gesicht derer, die sich mit Gewalt und Unterdrückung, mit Kindersoldaten und Zwangsrekrutierung, mit Mord und Totschlag von Opposition und Minderheiten, ja sogar christlichen Minderheiten, eine Autonomie errichten wollten. Terrororganisationen bleiben Terrororganisationen, es gibt nun mal keinen guten und keinen bösen Terroristen. Das musste die USA kleinlaut, Trump sogar wortgewaltig, zugeben.

Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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