Start Finanzen Kommentar Sharing Economy: Noch nie haben Unternehmen in so kurzer Zeit...

Kommentar
Sharing Economy: Noch nie haben Unternehmen in so kurzer Zeit derart stark expandiert

Am 29. März ging in New York ein Unternehmen an die Börse, das 2012 gegründet wurde, bisher noch keinen Gewinn erwirtschaftet, in den vergangenen zwei Jahren aber einen Verlust von $ 1,5 Mrd. gemacht hat. Der erste Kurs der Aktie lag um 20 Prozent höher als der Ausgabepreis, brachte dem Konzern insgesamt $ 2,3 Mrd. ein und ließ seinen Gesamtwert auf mehr als $ 24 Mrd. ansteigen.

New York Börse (Beispielfoto: pixa)
Teilen

Ein Kommentar von Ernst Wolff

Am 29. März ging in New York ein Unternehmen an die Börse, das 2012 gegründet wurde, bisher noch keinen Gewinn erwirtschaftet, in den vergangenen zwei Jahren aber einen Verlust von $ 1,5 Mrd. gemacht hat. Der erste Kurs der Aktie lag um 20 Prozent höher als der Ausgabepreis, brachte dem Konzern insgesamt $ 2,3 Mrd. ein und ließ seinen Gesamtwert auf mehr als $ 24 Mrd. ansteigen. 

Dieses auf den ersten Blick unverständliche Ereignis ist kein Zufall, sondern das Produkt einer Entwicklung, die erst vor wenigen Jahren begonnen hat und unser Leben, vor allem das des Mittelstands, in Zukunft entscheidend verändern wird. 

Bei dem Unternehmen handelt es sich um den Fahrdienstleister Lyft, der sich mit seinem Konkurrenten Uber derzeit einen erbitterten Kampf um die Vorherrschaft auf dem US-Markt liefert. Beide sind Teil einer der wohl außergewöhnlichsten Branchen, die die Weltwirtschaft je hervorgebracht hat: der Sharing Economy. 

Noch nie haben Unternehmen in so kurzer Zeit derart stark expandiert, den Weltmarkt so schnell erobert und ihren Gründern trotz enormer Verluste solche Gewinnchancen eröffnet wie diese auf Internetplattformen basierenden Vermittlerdienste. 

Allerdings gibt es auch keine Branche, die ihre vermeintlichen Ideale in derartiger Weise ins Gegenteil verkehrt und sich die schlimmsten Auswüchse des gegenwärtigen Finanzsystems in solch geballter Form zu eigen gemacht hat.

Angeblich ging es den Gründern darum, den Menschen und der Umwelt zuliebe Ressourcen zu schützen und vorhandene Güter – wie im Falle von Uber und Lyft das eigene Auto – und – im Falle von AirBnB die eigene Wohnung – zu „teilen“. Sharing Economy heißt ja nichts anderes als Ökonomie des Teilens. 

Das allerdings stellt sich schon bei einem oberflächlichen Blick auf die drei größten US-Unternehmen der Branche als unmöglich heraus: Lyft und Uber verfügen über keine eigenen Mietautos und AirBnB über keine eigenen Apartments, könnten also auch bei bestem Willen gar nichts teilen. 

Wie aber sieht ihr Geschäftsmodell dann aus?

Schlicht und einfach folgendermaßen: Geteilt wird nicht das, was man selbst hat, sondern das, was andere besitzen – allerdings mit dem Ziel, sich selbst zu bereichern. 

Grundlage der Sharing Economy sind das Internet und die moderne Kommunikations-Technologie. Sie dienen als Plattform für Vermittlungsdienste. Uber und Lyft vermitteln Fahrdienste, AirBnB vermittelt Wohnraum. Andere Plattformen vermitteln Kredite, Haushaltshilfen, Handwerker, Busfahrten, Hotelunterkünfte, Essenslieferungen und Liebesbeziehungen – es gibt kaum noch einen Bereich, in dem nicht versucht wird, nach dem Prinzip der Sharing-Industrie Geld zu machen – und das mit weitreichenden Folgen. 

Weil das Internet und die Kommunikations-Technologie keine Grenzen kennen, breiten sich Sharing-Unternehmen in kürzester Zeit international aus und beginnen in vielen Fällen schon bald nach ihrer Gründung, weltweit zu agieren. Ihr Wachstumspotenzial führt dazu, dass Großinvestoren wie Hedgefonds oder Staatsfonds mit Milliardenbeträgen in das Geschäft einsteigen und ihm extrem rücksichtslose und aggressive Methoden aufzwingen.

Sie verlegen die Firmensitze in Steueroasen, rationalisieren, wo es nur geht, und streichen das Personal drastisch zusammen. Da sie mit denen, an deren Arbeit sie verdienen, keine Arbeitsverträge abschließen, sondern ihnen gegenüber nur als Vermittler auftreten, umgehen sie – ganz legal – bestehende Arbeitsgesetze: Sie brauchen keine Tariflöhne zu zahlen, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten und keine Kündigungsfristen einzuhalten. Dafür verlangen sie höchstmögliche Flexibilität, fördern die Scheinselbständigkeit und verwandeln die einzelne Arbeitskraft zu einem jederzeit austauschbaren Rad in einem Getriebe, das nur einem Ziel dient: Das Sharing-Unternehmen zum Marktführer zu machen.

Dem Erreichen dieses Ziels wird sogar über lange Zeit der Gewinn untergeordnet. Unter dem beschönigenden Slogan „Wachstum vor Profit“ wird knallhartes Preisdumping betrieben, um Konkurrenten auszuschalten und sich ganze Wirtschaftszweige zu unterwerfen. Der Fahrdienstleister Uber zum Beispiel hat in den Jahren 2016 und 2017 $ 7,5 Mrd. Verlust gemacht, weil er die eigenen Fahrten bezuschusst hat – nur um Konkurrenten in den Ruin zu treiben. 

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Sharing-Economy sind verheerend: Es entsteht eine riesige Schar von Abhängigen, die als Scheinselbständige und Subunternehmer der Willkür der Sharing-Unternehmen ausgesetzt sind. Mittelständische Betriebe werden rund um den Globus durch einen Preiskampf, in dem sie chancenlos sind, in die Enge getrieben und haben schlussendlich nur noch als Franchise-Nehmer eine Überlebenschance.

Entziehen kann sich diesem Prozess kaum jemand, da Sharing-Unternehmen – wie die Verluste von Uber und Lyft zeigen – bereit sind, jahrelange extreme Durststrecken hinzunehmen, nur um am Ende ihr Maximalziel zu erreichen: Sich den globalen Markt zu unterwerfen, um dann die eigene Monopolstellung auszunutzen, die Preise in die Höhe zu treiben… und richtig abzukassieren.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


Ernst Wolff

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches Finanz-Tsunami: Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.

Wolff, geboren 1950, aufgewachsen in Südostasien, Schulzeit in Deutschland, Studium in den USA. Der Journalist und Spiegel-Bestseller-Autor (»Weltmacht IWF«) beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit der Wechselbeziehung von Politik und Wirtschaft. Sein Ziel ist es, die Mechanismen aufzudecken, mit denen die internationale Finanzelite die Kontrolle über entscheidende Bereiche unseres Lebens an sich gerissen hat: »Nur wer diese Mechanismen versteht und durchschaut, kann sich erfolgreich dagegen zur Wehr setzen.«