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Kommentar
Atatürk und das angebliche Islam-Zitat

"Ein angebliches Zitat von Atatürk geistert seit Jahren im Internet unter Atatürk-Gegnern, Rechtsextremen wie auch Islamkritikern. Das Zitat, das auch in deutschen Medien immer wieder aufgegriffen und dabei verändert wurde, stammt jedoch vom französischen Journalisten, Historiker und Politiker Jacques Benoist-Méchin." Ein Kommentar.

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Von Nabi Yücel

Ein angebliches Zitat von Atatürk geistert seit Jahren im Internet unter Atatürk-Gegnern, Rechtsextremen wie auch Islamkritikern. Das Zitat, das auch in deutschen Medien immer wieder aufgegriffen und dabei verändert wurde, stammt jedoch vom französischen Journalisten, Historiker und Politiker Jacques Benoist-Méchin.

Dieses frei erfundene Zitat stammt aus seinem eigenen Buch “Mustafa Kemal. La mort d’un Empire” aus dem Jahr 1954. Französische Quellen verwenden das mutmaßliche Zitat nicht, legen es als Zuschreibung aus.

Dennoch schreibt etwa Florian Stark in einem WELT-Artikel unter dem Titel „Der Islam ist ein verwesender Kadaver“ am 10. November 2013: „Kemal wurde 1923 erster Präsident der neuen türkischen Republik. Sein Credo würde heute in der islamischen Welt zu gewalttätigen Ausschreitungen führen: „Der Islam gehört auf den Müllhaufen de Geschichte. Diese Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet.““

Mitnichten sagte Atatürk jedoch diesen oder einen ähnlichen Satz, wie es Wolfram Neidhard in der n-tv am 29. Oktober 2013 unter dem Titel „Atatürk und die moderne Türkei“ zuvor so zusammengesetzt hat: „Islam, diese absurde Theologie eines unmoralischen Beduinen (Mohammed – d.R.), ist eine verwesende Leiche, die unser Leben vergiftet.“

Es lässt sich nur soviel herausfinden: Cem Dalaman schreibt seine Disertation „Die Türkei in ihrer Modernisierungsphase als Fluchtland für Deutsche Exilanten“ im Fachbereich Politik- u. Sozialwissenschaft an der Freien Universität Berlin im Jahre 2001 und gibt auf S. 43 als Quelle an: Jacques Benoist-Mechin, Mustafa Kemal ou la mort d’und [sic!] empire, Paris 1954, S. 352. Wobei, die Seitenzahl 352 nicht richtig ist. Richtig ist Seite 323.

Die französischen Macher von Wikipedia sind da jedoch etwas vorsichtiger und ordnen das mutmaßliche Zitat nicht als authentisch sondern als Zuschreibung (Attribuées) ein. Vielmehr noch, sie ordnen sogar insgesamt 9 mutmaßliche Zitate von Jacques Benoist-Méchin aus dem besagten Buch unter „Attribuées“ ein. Der französische Text im Buch heißt im Kontext demnach:

Depuis plus de cinq cents ans, […] les règles et les théories d’un vieux cheikh arabe, et les interprétations abusives de générations de prêtres crasseux et ignares ont fixé, en Turquie, tous les détails de la loi civile et criminelle. Elles ont réglé la forme de la Constitution, les moindres faits et gestes de la vie de chaque citoyen, sa nourriture, ses heures de veille et de sommeil, la coupe de ses vêtements, ce qu’il apprend à l’école, ses coutumes, ses habitudes et jusqu’à ses pensées les plus intimes. L’Islam, cette théologie absurde d’un Bédouin immoral, est un cadavre putréfié qui empoisonne nos vies.

Mustapha Kémal ou la mort d’un empire, Jacques Benoist-Méchin, éd. Albin Michel, 1954, p. 323

In der Neuauflage bei Albin Michel aus dem Jahre 1984 (ISBN 9782226213044) ist das mutmaßliche Zitat zwar diesmal in Anführungszeichen gesetzt, es bleibt aber immer noch offen, woher das angebliche wörtliche Zitat stammen soll oder wann es gesagt wurde. Ob der politischen Mission des Jacques Benoist-Méchin bleibt es aus vielerlei Sicht eine fragwürdige Quelle.

Es kann durch die Quelle nicht ausgeschlossen werden, dass hier einfach etwas behauptet wurde. Fest steht, dass die Arbeit von Jacques Benoist-Mechin eine Verdichtung von älteren Büchern von Autoren ist, wie u.a. von Michael Bischoff, Charels H. Sherrill oder Harold Armstrong. Alle diese Autoren oder ihre Werke werden nicht als Standardwerke ausgeschrieben.

In einer Rede vor der türkischen Nationalversammlung unterstrich Atatürk 1922 sogar die außerordentliche Bedeutung der Religion: „Die Religion ist ein unverzichtbares und notwendiges Element. Die Nationen können ohne sie nicht überleben“. Über den Islam sagte er ferner: „Unsere Religion ist diejenige, die unserem Geist am zuträglichsten und am natürlichsten ist. Nur aus diesem Grund wurde sie zur letzten der Religionen“. Während seines Besuchs in der westtürkischen Stadt Balıkesir am 6. und 7. Februar 1923, wo Mustafa Kemal mehrere Moscheen besuchte und auch Predigten hielt, wurde er noch konkreter. In der Zagosa Pascha Moschee predigte er wie folgt:

„Allah ist ein einziger. Seine Würde ist unermesslich. Unser ehrwürdiger Prophet wurde von Allah gesandt und beauftragt die religiösen Wahrheiten zu verkünden. […] Unsere Religion ist die vollkommene Religion. Die Grundlage unserer Religion bilden die im segensreichen Koran offenbarten, leicht verständlichen und unveränderlichen Regeln.“

Die Journalisten wie auch Kritiker des Islams bzw. Atatürks bedienen sich also seit Jahren einem Zitat, dass der erste türkische Präsident der türkischen Republik nie getätigt hat und von Jacques Benoist-Méchin erfunden wurde. Über einen Zeitraum von 30 Jahren betätigte sich Jacques Benoist-Méchin als Journalist besonders auf dem Gebiet internationaler Politik.

Während der deutschen Besetzung Frankreichs arbeitete er politisch mit dem Vichy-Regime zusammen. Er engagierte sich besonders im Jahre 1941, als er versuchte, engere Beziehungen zwischen seinem Vorgesetzten François Darlan und Hitler zu erreichen, um Frankreich in die Richtung eines Neuen Europa unter NS-Herrschaft zu bewegen. Er wandte sich im Jahr 1942 von der Vichy-Regierung ab, die nicht mehr in Übereinstimmung mit den Ideen von Pierre Laval bezüglich der deutsch-französischen Beziehungen handelte.

Er wurde im Jahre 1944 verhaftet und im Jahre 1947 wegen seiner Zusammenarbeit mit den Deutschen zum Tode verurteilt. Seine Strafe wurde in Zwangsarbeit abgeändert. Er blieb bis 1954 in Haft. Präsident Vincent Auriol begnadigte ihn danach. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis betätigte er sich als Schriftsteller und Historiker, wobei er sich besonders auf Themen der Geschichte der arabischen Welt konzentrierte. Jacques Benoist-Méchin hat Atatürk (Mustafa Kemal Pascha) nie persönlich getroffen und sein Buch über ihn schrieb er während seiner Haftzeit.

Hier ist hingegen ein Originalzitat von Atatürk (anlässlich der Eröffnungsrede des Parlaments im Jahr 1937):

[türkisch] „Aziz milletvekilleri,

Dünyaca bilinmektedir ki, bizim devlet yönetimimizdeki ana programımız, Cumhuriyet Halk Partisi programıdır. Bunun kapsadığı prensipler, yönetimde ve politikada bizi aydınlatıcı ana çizgilerdir. Fakat bu prensipleri, gökten indiği sanılan kitapların doğmalarıyla asla bir tutmamalıdır. Biz, ilhamlarımızı, gökten ve gaipten değil, doğrudan doğruya yaşamdan almış bulunuyoruz. (Alkışlar) (…)

[deutsch] „Geschätzte Mitglieder der Nationalversammlung

Es ist weltweit bekannt, dass unser Hauptprogramm bei der Staatsverwaltung (resp. Regierung) das Programm der Republikanischen Volkspartei (CHP) ist. Die Prinzipien, dies dies umfassen sind Richtlinien, die uns bei der Regierung und in der Politik erhellen. Man sollte allerdings diese Prinzipien nicht mit den Dogmen der Bücher, über die man meint, sie seien vom Himmel herabgestiegen, in einer Einheit sehen. Wir entnehmen unsere Eingebungen nicht vom Himmel und vom Unsichtbaren sondern unmittelbar vom Leben (Applaus))“