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Kommentar
Wie finanzieren sich islamische Gemeinschaften in Deutschland?

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Mittwoch die Deutsche Islamkonferenz mit einer Erklärung in Berlin eröffnet. Dabei forderte Seehofer in seiner Rede die Moscheegemeinden wie die DITIB oder IGMG in Deutschland dazu auf, sowohl ihre eigene Organisation und Finanzierung als auch die Ausbildung von Predigern „weitgehend selbst“ zu stemmen – und sich von ausländischen Geldgebern so zu lösen. Sind diese Forderungen berechtigt und auf welchen Fakten beruhen sie?

(Archivfoto: nex24)
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Von Nabi Yücel

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat am Mittwoch die Deutsche Islamkonferenz mit einer Erklärung in Berlin eröffnet. Dabei forderte Seehofer in seiner Rede die Moscheegemeinden wie die DITIB oder IGMG in Deutschland dazu auf, sowohl ihre eigene Organisation und Finanzierung, als auch die Ausbildung von Predigern, „weitgehend selbst“ zu stemmen – und sich von ausländischen Geldgebern so zu lösen. Sind diese Forderungen berechtigt und auf welchen Fakten beruhen sie?

Die Staatssekretärin im nordrhein-westfälischen Integrationsministerium, Serap Güler (CDU), sprach sich ebenfalls für eine vom Ausland unabhängige Finanzierung muslimischer Gemeinden aus. Ähnliche Vorwürfe erheben seit Jahren auch andere Politiker der CDU, SPD und Grünen. Insbesondere Cem Özdemir (Grünen) und Volker Beck (Grünen) unterstreichen diesen Vorwurf und lehnen daher u. a. eine Anerkennung der Körperschaft des öffentlichen Rechts ab, die von etlichen islamischen Gemeinschaften rechtlich angestrebt wird.

Die Deutsche Islamkonferenz und ihre Ziele

Zentrale Aufgabe der Deutschen Islamkonferenz (DIK) sei es, zu klären, wie ein Islam in Deutschland gefördert werden könne, „der in unserer Gesellschaft verwurzelt ist“, sagte Horst Seehofer am Mittwoch während der Eröffnungsrede. Muslime in Deutschland hätten selbstverständlich „die gleichen Rechte und gleichen Pflichten wir jeder hier in Deutschland“, sagte Seehofer weiter und fügte hinzu: „Muslime gehören zu Deutschland.“

Das ist angesichts der in den Raum geworfenen Vorwürfe jedoch kaum ernst zu nehmen. Seit Beginn der DIK im Jahre 2006 ist allen Teilnehmern, so auch dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) sehr wohl bekannt, wie die islamischen Gemeinschaften, vor allem die DITIB, sich finanzieren und welche Rolle die „Diyanet İşleri Başkanlığı“, das türkische Präsidium für Religionsangelegenheiten, in diesem Zusammenhang spielt.

Politik kennt den Sachverhalt, setzt sich aber darüber hinweg

In etlichen Kleinen Anfragen der Fraktionen des Bundestages und der Bundestagsabgeordneten gegenüber der Bundesregierung, werden diese und ähnliche Fragen seit Jahren ständig aufgeworfen. In den entsprechenden Antworten der Bundesregierung wird inzwischen wiederkäuend dieselbe Antwort abgegeben. Dennoch wird Land auf Land ab, die Schlussfolgerung verbreitet, dass die islamischen Gemeinschaften aus dem Ausland finanziert und damit kontrolliert bzw. gesteuert werden.

Insbesondere die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (DITIB e.V.) wird dabei seit Jahren vermehrt in den Mittelpunkt der Kritik gerückt. Welche Ausmaße diese Vorwürfe angenommen haben, kann man an den medialen Auswüchsen erkennen, die durch die Politik befeuert werden. Jetzt wehrt sich als erste islamische Gemeinde die „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) gegen diese Vorwürfe, die im Kern Verleumdungen sind. Laut einer Unterlassungsklage der IGMG gegen Volker Beck heißt es, dass der Grünen-Politiker den Verbänden wie der IGMG unterstellt habe, sich aus dem Ausland finanzieren und steuern zu lassen. Bereits zuvor hatte Beck mehrmals die DITIB sowie die IGMG als verlängerten Arm Ankaras bezeichnet.

Wie finanzieren sich die islamischen Gemeinschaften?

Die in Medien und populärwissenschaftlichen Ausarbeitungen vertretene These, dass sich islamische Gemeinschaften oder Moscheevereine in Deutschland hauptsächlich auf ausländische Finanzquellen stützen, findet hier keine zahlenmäßige wie faktische Grundlage. Sprich, man hat keine Erkenntnisse, die diese Thesen rechtfertigen. Insbesondere gegenüber der DITIB und IGMG sind die Vorwürfe nicht haltbar.

In den Satzungen der Vereine und Verbände sind zwar Vereinsbeiträge teilweise vorgesehen, mit der man die Vereins- und Verbandstätigkeit finanziert, aufgrund des dargestellten Umstands der differenzierten Mitgliedschaft handelt es sich dabei in der Regel jedoch um keine Haupteinnahmequellen. Im Übrigen sind dazu der Verkauf von Publikationen und anderen Produkten, sowie Einnahmen aus Veranstaltungen wie Konzerten und Kulturveranstaltungen zu zählen.

Nach Angaben vieler Gemeinden wird der Großteil des Gemeindelebens über freiwillige Spenden der Gläubigen, der sogenannten „Sadaqa“ (Geldspende) insbesondere anlässlich des Freitagsgebets finanziert. Gleiches gilt auch für den Ankauf von Gemeindehäusern, wobei bei Bedarf auch durch Spenden anderer Gemeinden geholfen wird. Das bedeutet, dass die Finanzierung der Gemeinden und Verbände hauptsächlich von Moscheebesuchern bzw. Moscheegängern gestemmt wird.

Förderung ist nicht gleich Finanzierung

Eine Förderung der grundsätzlichen Arbeit von Moscheevereinen bzw. Moscheen oder von Neubauprojekten ist nicht bekannt. Das einzige Neubauprojekt, das aus dem Ausland mitfinanziert wurde, ist der Neubau der Kölner Zentralmoschee der DITIB, die in Zusammenarbeit der Stadt Köln und dem Land NRW in die Wege geleitet wurde.Soweit eine Förderung aus öffentlichen Mitteln erfolgt, handelt es sich um projekt- oder anlassbezogene Förderungen.

Bezüglich der Frage, welche islamischen Organisationen z. B. in den Jahren 2014 bis 2018 aus welchen Haushaltstiteln des Bundeshaushalts Mittel erhalten haben oder werden, wird in den Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Fraktionen und Bundestagsabgeordneten sehr genau erläutert.

Dieser Übersicht ist zu entnehmen, dass die Vereine projektbezogene finanzielle Mittel für soziale, kulturelle und zivilgesellschaftliche Programme erhalten, bspw. im Wege der monatlichen Erstattung von Taschengeldern und Sozialversicherungsbeiträgen (bis zu einer bestimmten Höchstgrenze) für die eingesetzten Freiwilligen sowie als Zuschuss zur pädagogischen Begleitung der Freiwilligen, oder im Rahmen des Bundesprojekts „Demokratie Leben!“, das die Demokratieförderung und Radikalisierungsprävention unterstützen soll.

Auch diesen Aufstellungen stellt die Bundesregierung voran, dass die Auflistung nicht abschließend sei und keine Einordnung von Trägern als islamische Organisationen seitens der Bundesregierung darstelle. In der Regel würden Organisationen und Institutionen unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund gefördert.

Als Konsequenz der mutmaßlichen Affären hatte die Bundesregierung ihre Förderung von DITIB-Projekten für die Jahre 2018 und 2019 komplett eingestellt. 2016 hatte die Förderung bei 3,27 Millionen €, 2017 noch bei 1,47 Millionen € gelegen. Zugleich stimmte die Bundesregierung 2017 der Entsendung von 350 weiteren islamischen Geistlichen aus der Türkei nach Deutschland zu.

Die türkische Religionsbehörde „Diyanet“ entsendet ihre Imame, die in der Regel an türkischen Universitäten ausgebildet und vom türkischen Staat wie Beamte bezahlt werden, für eine befristete Zeit nach Deutschland. Sie sind nicht nur in den DITIB-Moscheen, sondern auch in Gemeinden der „Islamische Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG) tätig.

Informationsstand und Transparenz

Für informell zusammengeschlossene oder nach dem Vereinsrecht organisierte Gemeinden besteht – ebenso wie bei den Kirchen und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts – gegenüber der Öffentlichkeit keine Rechenschafts- bzw. Offenlegungspflicht bezüglich der Bilanzen. Auch eine Unterbindung von Finanzströmen – etwa nach österreichischem Vorbild – ist nach deutschem Recht nicht denkbar.

Eine Unterbindung von finanziellen Aktivitäten im Hinblick auf einzelne Vereine ist nach deutschem Recht nur im Rahmen eines Organisationsverbots möglich. Dies setzt voraus, dass sich ihre Aktivitäten gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, was kaum durchsetzbar wäre, weil die rechtlichen Hürden ziemlich hoch angesiedelt sind. Unterhalb der Verbotsschwelle ist eine Überprüfung durch die Finanzbehörden zumindest hinsichtlich der Gemeinnützigkeit bzw. unter den Voraussetzungen der Verfassungsgrundlage durch die Verfassungsschutzbehörden möglich.

Was finanziert z.B. die Türkei konkret?

Die „Diyanet İşleri Başkanlığı“, das Präsidium für Religionsangelegenheiten, die direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt ist, entsendet Imame der Diyanet in Gemeinden der DITIB. Sie übernimmt ausschließlich die Honorare dieser Imame. Dabei entspräche die finanzielle Entlastung etwa 4.000 bis 5.000 € für die jeweilige Gemeinde, unabhängig von der Frage, ob es in Deutschland entsprechende studierte islamischen Theologinnen und Theologen überhaupt gibt.

Laut der Satzung des DITIB-Verbandes in Köln wird sie nicht aus Ankara finanziert. Lediglich beim Vorstand des Vereins in Köln hat Ankara ein Mitspracherecht. Weitergehende finanzielle „Förderungen“ oder „Unterstützungen“ gibt es also nicht. Die in Medien und populärwissenschaftlichen Ausarbeitungen vertretene These, dass sich Moscheevereine in Deutschland hauptsächlich auf ausländische Finanzquellen stützen, ist schlichtweg falsch.

Gibt es eine Steuerung durch das Ausland?

Auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck, Katja Keul, Dr. Tobias Lindner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, inwieweit Einflüsse ausländischer Staaten, Parteien, Stiftungen und sonstiger Personen und Geldgeber Verbindungen zu islamischen bzw. islamisch religiöse Vereinen oder Religionsgemeinschaften, insbesondere durch Entsendung von Personal, finanzielle Zuwendungen oder Sachleistung der Bundesregierung bekannt seien, antworte die Bundesregierung, dass sie nicht anlasslos, allgemein und systematisch eigene Erkenntnisse über Verbindungen und Einflüsse ausländischer Stellen auf religiöse Vereine und Religionsgemeinschaften erhebe.

Im Umkehrschluss heißt das, dass die Bundesregierung keine Anhaltspunkte hat, die sie veranlassen könnte, den Vorwürfen nachzugehen. Obwohl die Frage dennoch immer wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen wurde, waren öffentlich zugängliche systematisch erfasste Informationen von Medien oder der Regierung über Finanzströme von Geldgebern aus Drittstaaten, die islamische Organisationen, insbesondere Moscheen bzw. Moscheevereine begünstigen, nicht auffindbar.

Die Bundesregierung betonte ja, dass solch ein Anlass nicht gegeben sei, um den Vorwürfen nachzugehen. Schließlich sei festzuhalten, dass eine ausländische Finanzierung nicht gleichzusetzen sei mit Steuerung. Daher müsse in dieser Allgemeinheit offenbleiben, was den Begriff der Steuerung ausmache. Die Thematik entzieht sich also einer pauschalen Beurteilung.

Was sagen Fachleute zur Finanzierung oder Körperschaft?

Laut einem Gutachten, das das Land Rheinland-Pfalz in Auftrag gegeben hat, kann das Land von den muslimischen Verbänden und Organisationen keine vereinheitlichende Neuformierung aller muslimischer Gruppierungen erwarten oder gar zur Voraussetzung der Anerkennung machen kann. Unter anderem stehe die Absicht der Landesregierung, einen gemeinsamen Religionsunterricht aller islamischen Richtungen anzustreben, eine negative Verletzung der Religionsfreiheit entgegen, weil es den einen oder anderen Wortführern in den Verbänden eine unangemessene Deutungshoheit über alle Muslime in Rheinland-Pfalz geben würde.

Das rechtswissenschaftliche Gutachten erkennt unter anderem an, dass das Recht der Verbände als Religionsgemeinschaft anerkannt werden muss, da sie formell vorliegt und geboten ist, sofern sie dies beantragen. Auch der Aspekt „Religionsunterricht“ sei im schlechtesten Fall für jeden Verband allgemeingültig anzuerkennen, auch wenn dies für Rheinland-Pfalz in der Schulpraxis problematisch werden könnte, so das Rechtsgutachten.

Das Gutachten empfiehlt jedoch der Landesregierung, sich mit den muslimischen Verbänden zu einigen, um die Schulpraxis zu vereinheitlichen. Durchsetzen dürfe die Landesregierung das jedoch nicht. Außerdem ist laut dem Rechtsgutachten allein die Annahme, ein ausländischer Staat könne Einfluss auf die Religionsgemeinschaft ausüben, noch kein Grund, dies als bedenklich zu erachten.

Das wäre erst der Fall, wenn hoheitliche Befugnisse von ausländischen Staaten hierher direkt übertragen werden. Einzig beim Religionsunterricht müsse die religiöse Selbstbestimmung garantiert werden, heißt, ein ausländischer Staat oder die Landesregierung selbst, dürfe hier nichts festlegen.

Rheinland-Pfalz hat bereits angekündigt, die Beurteilung über die „Gefahr“ eines Einflusses durch ausländische Staaten, sprich, hier durch die Türkei über die Diyanet, erneut feststellen zu lassen. Ob das rechtlich infrage gestellt werden kann, wird stark angezweifelt. Vielmehr ist es wohl ein politisches Signal, da zurzeit die Landesregierung die Gespräche mit der DITIB aufgrund der Gegebenheiten mit der Türkei auf Eis gelegt hat.

Laut Rechtsgutachten ist aber ausschließlich die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaft selbst zu beurteilen und ist nicht dadurch gefährdet, dass Würdenträger aus dem Ausland Einfluss auf die Religionsgemeinschaft ausüben, auch wenn sie ein Amt des ausländischen Staates bekleiden.

Hier müsse vielmehr das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft zum Ausdruck des eigenen Willens zum Tragen kommen, sprich, sie müsse das aus eigenem Willen heraus annehmen oder ablehnen. Als Fazit erkennt das Rechtsgutachten an, dass es sich unter anderem bei der DITIB um eine Religionsgemeinschaft nach Art.7 Abs.3 S. 2 GG handelt und, dass die DITIB zur Durchführung von Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 GG geeignet ist.

Fazit

Abschießend ist in beiden Gutachten festzustellen, dass die muslimischen Verbände ihr Recht auf Durchsetzung zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft aufgrund ihres Status weder rechtlich noch anderweitig durchsetzen wollen, obwohl sie es könnten, sondern Kooperation auf allen Ebenen mit Rheinland-Pfalz nicht nur zeigen, sondern auch erwünscht ist. Ferner kann von einer „Auslandsfinanzierung“ der islamischen Verbände, im konkreten Fall bei der DITIB oder IGMG, keine Rede sein.


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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