Von Prof. Dr. Hans-Christian Günther
Schon in den 1930er Jahren, während des Kampfes um die Macht in China und des Kampfes gegen die japanische Besatzung, hat Mao Zedong eine wichtige Einsicht formuliert: in China lebten zwar nur 4-6% ethnische Minderheiten, sie lebten jedoch in strategisch wichtigen Regionen.
China könne nur zu einem stabilen Staat geeinigt werden, wenn man den ethnischen Minderheiten das Recht einräume, ihre Kultur, Sprache und Religion zu behalten. Ebenso hat sich Mao Zedong entschieden gegen jede ethnische Diskriminierung ausgesprochen. Was er ,Han-Chauvinismus‘ nannte, hat er wiederholt gegeißelt.
Diese Einsicht Mao Zedongs war gerade für seine Zeit und Situation alles andere als selbstverständlich. Mao Zedong war primär ein chinesischer Freiheitskämpfer, der China vom kolonialen und japanischen Joch befreien wollte. Er erkannte im Sowjetkommunismus bald das probate Mittel zu diesem Zweck. Andere Befreiungsbewegungen und postkolonialen Staatengründer verfuhren durchaus anders: in der Regel versuchten sie, einen Nationalstaat nach dem Muster ihrer ehemaligen Kolonialherrn zu errichten. Chauvinismus, Unterdrückung von Minderheiten waren so vorprogrammiert.
Mao-Zedongs Prinzipien wurden in der chinesischen Verfassung festgeschrieben
Nach der Gründung der VR Chinas wurden die von Mao Zedong verkündeten Prinzipien in der chinesischen Verfassung festgeschrieben, und sie gelten auch noch in der heute gültigen Form der chinesischen Verfassung. China erkennt über 50 Minderheiten an. Die VR China versteht sich als eine Völkerfamilie. Han-Chauvinismus ist verboten, sowie auch jeder Versuch, die chinesische Völkerfamilie zu spalten. Sprache und Kultur der Minderheiten sind ausdrücklich geschützt. Jeder Chinese hat das Recht, an eine Religion zu glauben. So der Verfassungstext. Das heißt wohlgemerkt nicht freie Religionsausübung. Die Religionsausübung wird staatlich überwacht. Letztere darf nicht subversiv sein. Aber kein Chinese darf gezwungen werden, seine Religion aufzugeben.
Die staatstragende Partei, die Kommunistische Partei Chinas, definiert sich freilich als atheistisch. Atheismus ist Teil ihrer Ideologie. Ein Mitglied der Partei darf keiner Religionsgemeinschaft angehören.
Dieses Modell funktionierte in der Praxis zunächst durchaus recht gut. Selbst wenn man die Kulturrevolution betrachtet, muss man immer bedenken: sie richtete sich nicht gegen Minderheiten, nicht gegen deren Religion als solcher: die Kulturrevolution betraf alle Chinesen, sie richtete sich gegen traditionelle Werte allgemein, gegen Untertanengeist. Das traf natürlich auch Religion. Bei der Mehrheit traf es traditionelle chinesische oder bürgerliche Werte.
Nachdem Deng Xiaoping die Kulturrevolution beendet und dann auch die Macht in der Partei erlangte, versuchte er eine Aussöhnung mit der Religion: Annäherungen war die Parole. Am Ende der Kulturrevolution wurde etwa in einem Hui-Muslimischen Dorf in Shadian in Yunnan ein Massaker der Volksarmee an Muslimen verübt. Die Muslime wurden rehabilitiert. Es gibt dort ein Erinnerungsdenkmal. Die größte Moschee Chinas, Nachbildung von Medina, wurde mit Hilfe staatlicher und zusätzlich gesammelter Gelder gebaut. Nach Dengs Amtsantritt gab es auch – verständlicherweise – ein religiöses Erwachen, gerade im traditionell muslimischen Xinjiang.
Chinas Minderheitenpolitik war insgesamt erfolgreich
Chinas Minderheitenpolitik war insgesamt erfolgreich. Die zahlreichen ethnischen Minderheiten fühlten sich zumeist als Chinesen, waren aber zugleich stolz auf ihre Kultur, und zumeist erhielt sich ihre Sprache. Selbst schriftlose Sprachen wurden in lateinischer Umschrift gelehrt. In Gebieten, wo ethnische Minderheiten mit Schriftsprache eine Mehrheit bildeten wie Xishuangbanna oder Xinjiang sind alle Inschriften auf öffentlichen Gebäuden zweisprachig.
Ich kenne Angehörige vieler Minderheiten persönlich. Die relativ große Dai-Minorität ist streng buddhistisch. Die Religion spielt eine große Rolle. Man vereinbart Kommunismus und Religion, ich habe Aussagen gehört wie: ich bin Buddhist, ich bin als Chinese eben auch Kommunist. Mao wird hochverehrt. In vielen Häusern in den Dörfern hängt – ohne Zwang – sein Bild!
Reich an Rohstoffen: Xinjiang
Auch in Xinjiang, wie bei Hui-Muslimen, war die erwachende Religiosität nicht politisch und nicht subversiv.
Hui-Muslime hatten zumeist auch keine sozialen Probleme. Xinjiang war eine unentwickelte Provinz. Zunächst blieb sie in Dengs forcierter Entwicklung des schon höher entwickelten Ostens zurück. Dann entdeckte man den Rohstoffreichtum der Provinz. Zudem war sie wenig dicht besiedelt. Han-Chinesen wurden in immer größeren Mengen angesiedelt. Dadurch sollte die Provinz sinisiert werden. Der wirtschaftliche Aufschwung brachte Erfolge: er kam im wesentlichen den Han-Chinesen zugute. Die Uiguren fühlten sich überfremdet und benachteiligt. Als Turkvolk mit völlig anderen Traditionen, zumal diskriminiert, fühlten sie sich in China fremd, sie fühlten sich nicht als Chinesen.
Erste Großdemonstrationen im Februar 1997
Nach der Verhaftung und Hinrichtung von 30 Uiguren während des Ramadan im Februar 1997 kam es zu ersten Großdemonstrationen die blutig niedergeschlagen wurden. Chinesische Staatsmedien sprachen von „Ausschreitungen“, ausländische Beobachter beschrieben die Demonstrationen jedoch als friedlich. Es wird von mindestens neun bis über 100 Toten berichtet. Auch wenn es innerethnische Spannungen gab, blieb die Lage in Xinjiang von den späten 1990er Jahren bis etwa 2007 relativ ruhig.
Ab 2007 flammten die Spannungen wieder auf und so kam es 2008 und 2011 zu gewalttätigen Einzelaktionen in Kashgar, 2009 zu größeren Ausschreitungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen in Urumqi. Ausmaß und Verlauf der Ausschreitungen in Urumqi sind ungeklärt. Man hielt sich bedeckt. 2008 in Kashgar fuhren zwei Männer einen Lastwagen in eine Gruppe von Polizisten und töteten danach andere mit Messern. Ob Bomben benutzt wurden, ist nicht gesichert. 16 Polizisten sterben, 16 wurden verletzt. Polizei besteht übrigens in Kashgar, soweit ich informiert bin und es gesehen habe, ausschließlich aus Uiguren.
2011 explodierten zunächst zwei Autobomben: Drei Tote. Daraufhin erstachen zwei Männer einen Lastwagenfahrer und fuhren den Wagen in die Menge am Straßenrand. Noch bevor die Polizei eintraf, prügelte die Menge einen der Männer zu Tode. Am Tag danach wurden Bomben in ein Restaurant geworfen: Sech Tote. Die chinesische Regierung macht die Ost-Turkestan-Bewegung verantwortlich und spricht von Jihadismus. Seitdem gelten Uiguren pauschal als Terroristen, werden sozial noch mehr diskriminiert, der Islam wird als Quelle der Gewalt gesehen.
Die gewalttätige im Ausland operierende Ost-Turkestan-Bewegung mag durchaus hinter den Anschlägen stehen. Doch, wie dem auch sei, die Personen, die letztere begingen, konnten zu diesen Verbrechen vor allem durch ihre soziale Marginalisierung bewegt werden. Es waren Täter ohne jede Ausbildung. Kashgar war und ist eine Stadt am äußersten Rand Chinas mit großer Armut und Arbeitslosigkeit unter Uiguren. Die Gründe für die Tat waren soziale, nicht religiöse – ebenso wie gewiss in Urumqi. In Kashgar waren fast alle Toten Uiguren.
Die Bevölkerung lehnte Terrorismus strikt ab, wehrte sich gegen das Odium des Terrorismus. Ebenso war man an Unabhängigkeit nicht interessiert: im Gegenteil! Uiguren wollten in gerechten Maße am sich entwickelnden Wohlstand teilhaben. Doch die soziale Diskriminierung verschärfte sich: wer will schon ,Terroristen‘ einstellen? China tat nichts gegen die sozialen Probleme, verstärkte die Unterdrückung der Religion. Uiguren hatten immer weniger Rechte, weniger als Hui-Muslime.
So folgten andere Attacken im chinesischen Kernland. Uiguren wurden jetzt generell verachtet, diskriminiert: Han-Chinesen begannen in großem Umfang , Uiguren zu hassen; der Islam insgesamt wurde suspekt. Ich habe von keinem Chinesen je abfällige Bemerkungen über andere Minderheiten gehört. Aber viele sprachen abfällig über Muslime, alle, wenn die Sprache darauf kam, von Uiguren.
Repressalien, Internierung, willkürliche Verhaftungen nahmen zu. Aber der Amtsantritt des neuen Parteisekretärs der autonomen Provinz Xinjiang, Chen Quanguo, markiert eine Zäsur. Mit ihm begann die Kampagne zur systematischen Ausrottung der uigurischen Kultur, des Islam und des uigurischen Volkes. Wir haben über die aktuelle Situation auf NEX24 mehrfach berichtet.
Dieser Zäsur muss eine lange Planung vorhergegangen sein, denn trotz aller früheren Repressalien stellt sie einen klaren Bruch mit Chinas Prinzipien der Minderheitenpolitik, der chinesischen Verfassung dar und ist straff und systematisch organisiert. Der systematische Verfolgung der Uiguren läuft mit der Präzision eines Uhrwerks und einem ständig steigenden Tempo ab, der einen an Hannah Arendts Wort vom ,verwalteten Massenmord‘ der Nazis erinnert.
Auslöschung aller Religionen in China
Es ist kein Zufall, dass diese Politik zusammenfällt mit dem gelungenen Coup d’état Xi Jinpings auf dem letzten Parteitag, wo er das von Deng Xiaoping eingeführte System der kollektiven Führung durch Alleinherrschaft auf Lebenszeit ersetzte. Geplant wurde dieser Genozid gewiss seit Xis Machtantritt 2013. Überhaupt steht er in einem größeren Zusammenhang.
Er ist ein erster Schritt zur Auslöschung der Religion in China: zuerst Xinjiang, dann der Islam insgesamt, sogar das Christentum und die anderen Religionen. Sie stehen alle zunehmend unter Druck, inzwischen selbst Buddhisten. Dass so etwas in einem Riesenland wie China nur scheibchenweise möglich ist, habe ich anderswo bereits gesagt. Ziel ist auch die Ausrottung der Identität aller Minderheiten und ihre totale Assimilation. Wozu? Das Endziel ist die totale Kontrolle über die gesamte chinesische Bevölkerung.
Xi strebt nach dem vollkommenen Untertanen
Das System der Sozialpunkte soll bis 2020 eingeführt werden. Es stellt das perfekteste Spitzelsystem dar, das es je gab. Das engmaschige Überwachungssystem, das jetzt in Xinjiang bereits installiert ist, das systematische Sammeln biometrischer Daten wird bald alle Chinesen betreffen. Alle Chinesen sollen zum fuktionierenden Rädchen in einer gut geölten Staatsmaschine degradiert werden. Der totalitärste Staat, den es je gab, der perfekte Überwachungsstaat, in dem Privatsphäre schlichtweg nicht mehr existiert.
Mit diesem Staat des perfekten Untertanen, zusammengeschweißt durch hemmungslosen Chauvinismus und hemmungslose Gier nach materiellen Gütern, will man die Welt unter die Knute bringen. China ist inzwischen Weltmacht. Die Mittel sind da. Nicht militärische Gewalt soll – wo immer möglich – das Mittel der Wahl sein, nein! Kauf und wirtschaftliche Erpressung einer Welt, die China in die Falle der wirtschaftlichen Abhängigkeit geht.
All das ist das Gegenteil dessen, was Mao Zedong gewollt hat, auch dessen was Deng Xiaoping aufbauen wollte. Mao wollte einen neuen Menschen schaffen, den Menschen der Revolution, einen Menschen frei von den Fesseln von Repression und Untertanengeist. Xi strebt nach dem vollkommenen Untertanen.
Deng Xiaoping hat China erfolgreich auf den Weg zur Weltmacht gebracht! Er hat es erreicht durch persönliche Bescheidenheit, Augenmaß, Pflichterfüllung statt persönlichen Machthungers. Er wusste, dass er sich nicht an die Stelle der nationalen Ikone Mao Zedong setzen konnte.
Xi statt Allah
Der Popanz Xi lässt in den Häusern von Uiguren unter Strafandrohung sein Bild aufhängen und verlangt, am Eid al Fitr, dem muslimischen Fest des Ramadanmonats, dass er anstatt Allah verehrt werden soll.
Nur ein Clown kann das tun. Xi beginnt, unter Chinesen immer lächerlicher zu werden. Winnie the Puh ist verboten, weil Xi mit ihm verglichen wird. Handys in der U-Bahn von Shanghai werden von der Polizei auf Xifeindliche Inhalte geprüft.
Deng Xiaoping war ein Revolutionär der ersten Stunde, wie Mao Zedong hat er sein Leben im Kampf gegen die Guomintang und Japan für sein Land und eine Idee aufs Spiel gesetzt. Die Interessen seines Landes waren der Mittelpunkt seines Wirkens. Xi Jinping ist in das bequeme, privilegierte Leben einer Familie von Apparatschicks hineingeboren. Nichts ist mieser und spießiger als die ,bürgerliche‘ Gesellschaft Chinas, so wie die der Sowjetunion und ihrer Vasallen es war. Xi ist ein Produkt der Gesellschaft, die Mao Zedong durch die Kulturrevolution vergeblich zu verhindern suchte.
Was ihn von anderen deinesgleichen unterscheidet, ist nur exzessive Machtgier und Skrupellosigkeit. Seine Vision für China ist die eines Eichmann. Xi ist ein Verwalter von Folter und Massenmord an der Spitze einer Großmacht. Xi hat alles, wofür Mao Zedong und Deng Xiaoping standen verraten und pervertiert. Aber viel mehr noch.
Xi beschmutzt zum ersten Mal Chinas Kultur wie Hitler die deutsche und die japanischen Militärs die japanische.
Die jahrtausendealte chinesische Kultur ist weder gewalttätig noch rassistisch. Chinesen haben ein aufgeblasenes Ego; man kann – jedenfalls heutige – Chinesen leicht zu Chauvinismus anstacheln. Trotzdem: die chinesische Kultur, ihre großen Denker strebten alle nach Harmonie, Ausgleich, Mitmenschlichkeit. Chinas Geschichte ist von innerem Zwist und grausamen Kriegen geprägt, aber China hat keine Völker ausgelöscht oder die Welt mit Kolonialismus überzogen wie die europäische Kultur.
Das China Xi Jinping begibt sich auf die Stufe seiner japanischen Peiniger oder der Nazis. Es beschmutzt zum ersten Mal Chinas Kultur wie Hitler die deutsche und die japanischen Militärs die japanische. Es ist eine Schande und Tragödie für China. Dabei sprechen Xis Propagandisten von chinesischen Werten, von Konfuzianismus. Als ob Konfuzianismus auch nur entfernt mit Folter, Internierung, Gleichschschaltung, ethischer Säuberung vereinbar wäre.
Umso verächtlicher sind die von China gekauften westlichen Sinologen, die Xis Politik mit der Andersheit chinesischen Denkens zu rechtfertigen suchen. Ja! Chinesisches Denken ist von westlichem nur allzu verschieden, aber von der primitiven Brutalität des neuen China noch weiter. Die Vorbilder dieses China sind westlich, sie sind das Verbrecherischste, was der Westen zu bieten hat.
Aber Chinas neue Politik hat neben Xis Verbrechertum auch erklärbare Gründe. Hinter ihr stecken durchaus rational nachvollziehbare Gründe.
Wie Mao erkannt hatte, besetzen Minderheiten eine strategisch wichtige Position in China. Vom Norden mit der Inneren Mongolei über Xinjiang im Westen anschließend Tibet im Südwesten und den Minderheiten im Süden ist China von einem Minderheitengürtel umgeben. Amerikanische Think-Tank-Strategen wie George Friedman haben das ebenso erkannt wie Mao vor ihnen. Den barbarischen Primitivlingen der Xi-Clique fällt dazu nichts anderes ein als brutale Gewalt. Zumal jetzt, wo die Entwicklung Xinjiangs eine zentrale Rolle in Chinas Plan spielt, mit dem sog. Seidenstraßenprojekt die Welt durch seine wirtschaftlichen Krakenarme in die Fänge zu nehmen.
Doch China ist bei weitem nicht so stark, wie es von außen manchem scheint. Trotz kräftigen Wachstums ist dieses Wachstum nicht mehr groß genug, für die breite Masse der Bevölkerung größeren Wohlstand zu garantieren. Die Wachstumsraten von früher wieder zu erreichen, ist schwer, zumal wenn die USA, wie jetzt unter Präsident Donald Trump, die Daumenschrauben anzieht. Das verdeckte Staatsdefizit der Regionen und Staatsbetriebe macht die Flucht in die Stimulation des Binnenmarktes durch Methoden wie den künstlichen Bauboom der jüngeren Zeit unmöglich. Der Reichtum für die breite Masse stagniert oder zerfällt. Doch genau darauf, dass der Staat diesen Massen, wenn auch in noch so bescheidenen Scheiben mehr Wohlstand beschert, hängt deren Loyalität zur Herrschaft der kommunistischen Partei. Die Partei weiß das nur zu gut. Was sie in den letzten Jahren für die ärmeren Bevölkerungsschichten geleistet hat, ist auch mehr als anerkennenswert. Um das Tempo zu halten, braucht China neue Märkte.
Es gibt freilich ein weiteres Problem. Solange Chinesen sich nur darum kümmern können, im täglichen Lebenskampf zu bestehen, nichts zählten kann als bessere materielle Lebensbedingungen, hat man keiner Zeit, andere Ansprüche an den Staat zu stellen, als zu demonstrieren, man darf hoffen, hier weiterzukommen.
Sobald man jedoch diese Ansprüche befriedigt sieht, fängt man an aufmüpfiger zu werden, Kritik an der Politik der Partei zu üben; ebenso richtet sich der Blick nicht mehr nur auf materielle Güter: man fühlt das Bedürfnis nach Sinngebung, somit auch nach Religion oder Religionsersatz. Die Werte der kommunistischen Partei bieten das nicht. Die Grundsätze des Sinomarxismus sind zwar Bestandteil jedes Curriculums, nur keiner versteht sie, interessiert sich dafür oder nimmt sie auch nur zur Kenntnis. Mit Chauvinismus kann man zwar immer noch viele ködern, doch das reicht immer weniger, ein zur Renitenz neigendes Volk unter die Knute zu zwingen. Was wird da einem Eichmann des fernen Ostens angesichts der Möglichkeiten der modernen Technik wohl einfallen?
Nun, man wird die Hoffnung nicht ganz aufgeben müssen, dass die chinesischen Volksmassen das – zumal bei wirtschaftlicher Anspannung – nicht ohne weiteres mit sich machen lassen werden.
Es gibt Wege für die Welt China entgegenzutreten
China wirkt von außen wie ein unbesiegbarer Koloss. Aber in Wahrheit steht er auf tönernen Füßen. Er steht auf tönernen Füßen nicht zuletzt wegen der rücksichtslosen Arroganz der gegenwärtigen Machthaber. Die ganze Welt schlucken zu wollen, daran haben sich schon manche verschluckt. Die rücksichtslose Politik der Erpressung nach außen und Folter, Totalüberwachung und Mord im Inneren widerspricht eminent der alten chinesischen Weisheit, dass das Weiche das Harte auf Dauer stärker ist, das Wasser den Stein besiegt. Es gibt Wege für die Welt China entgegenzutreten, wenn sie will, wenn andere Regierungen es wollen, und es gibt verschiedene Wege, nicht nur einen.
China über die UN und internationale Organisationen in Erklärungsnot zu bringen, ist ein Weg, der bereits begonnen hat, die ersten Früchte zu zeigen: Anerkennung des CERD-Reports, Erklärung des EU Parlaments.
Auf dieser Basis muss bei jeder Regierung eines jeden starken Landes Lobbyarbeit geleistet werden. In den USA hat inzwischen selbst der Vizepräsident Michael Pence sich geäußert. Jetzt müssen Taten folgen. Sofern man den Westen einspannt, muss man sich freilich klar machen: die Interessen von Muslimen interessieren hier niemanden außer ein paar Idealisten, gewiss keine Regierung. Der Westen interessiert sich für Muslime nur, wenn er sie für eigene Belange instrumentalisieren kann. Man muss – und man kann – in der gegenwärtigen Situation dem Westen durchaus glaubhaft machen, dass China eine eminente Bedrohung für seine Macht ist, und dass es 5 vor 12 ist, die Notbremse zu ziehen. Man muss alles daran setzen, den Konflikt USA – China zu verschärfen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ihn China nicht gewinnen.
Muslimische Welt muss China entgegentreten
Noch wichtiger ist es freilich die muslimische Welt dazu zu gewinnen, China möglichst breit entgegenzutreten. Die ersten Anzeichen gibt es auch hier. Der neue Staatschef von Malaysia hat klare Worte zur Verfolgung der Muslime gefunden, er war auch klug genug, Milliardengeschäfte mit China auf Eis zu legen, um nicht in Chinas Schuldenfalle zu geraten. Hier stehen auch handfeste nationale Interessen auf dem Spiel. Das müssen auch andere Länder einsehen. China versteht eine Sprache am besten, gerade auch das China Xis: Geld. Muslimische Staaten müssen ihr Engagement in Chinas ,One belt one road‘ – Projekt überdenken und China Bedingungen stellen.
Wie einzelne Staaten mit China umgehen, muss nicht immer dieselbe Art sein. Die Türkei leistet zumindest humanitäre Hilfe, indem sie Uiguren Sicherheit in der Türkei bietet. Es gibt Fortschritte in dieser Hinsicht in Malaysia und in Kasachstan. Dass es Länder, zumal muslimische gibt, wo Uiguren vor Abschiebung nicht sicher sind, ist eine Schande für die zivilisierte Welt. Für den Iran ist es in der gegenwärtigen Lage, wo er vom Westen in höchste Bedrängnis gebracht wird, am schwersten, China offen entgegenzutreten; es gab freilich Äußerungen des iranischen Außenministeriums, man versuche auf diplomatischem Wege Muslimen in China zu helfen. Man wird hoffen, dies gelingt.
Zunächst wurde vor kurzem gemeldet, die Regierung Pakistans, Chinas enger Verbündeter, habe China auf diplomatischem Wege gebeten, sich zu mäßigen. China werde einer Kommission von Rechtsgelehrten erlauben, nach Xinjiang zu reisen und die Lage in Augenschein zu nehmen. Dann folgte das Dementi, die Rechtsgelehrten reisten nur nach China, um China bei der Entwicklung eines Curriculums zur Ausbildung im rechten Islam zu helfen. Man wird hoffen, dass auch hier hinter verschlossenen Türen sich etwas bewegt. Pakistan hat sich im übrigen auch etwas zurückhaltender zu allzu großer Verschuldung geäußert.
Von China weniger anhängige, dem Westen verbundene Länder, ein ökonomischer Koloss wie Indonesien können und sollten eine härtere Gangart einschlagen und China wirtschaftlich bestrafen. Doch auch der Weg der Diplomatie und der humanitären Hilfe ist wichtig. Die Türkei hatte sich in der Vergangenheit hart gegen Chinas Uigurenpolitik geäußert. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sprach 2012 von Genozid. Die Türkei ist derzeit in Schwierigkeiten, aber nicht so extrem, dass sie sich zum Büttel Chinas machen muss. Erdogan hat das Ansehen, sich an die Spitze einer muslimischen Einheitsfront zu stellen. Und das ist es, was Xinjiang braucht – genauso wie Palästina.
Aufklärung der chinesischen Öffentlichkeit
Freilich, die muslimische Welt ist durchsetzt von dem Krebsgeschwür korrupter Regime. Die wichtigste Aufgabe ist es, die muslimische Öffentlichkeit zu informieren. Auch hier gibt es erste Erfolge, Muslime in Indien und Bangladesch sind auf die Straße gegangen. Das muss überall geschehen. Muslime müssen, Boykott chinesischer Waren, des Tourismus nach China fordern, sie müssen wirtschaftliche Strafmaßnahmen von ihren Regierungen fordern. Dem massiven Druck der Straße kann man nicht völlig ausweichen. Auch China ist sein Public Image nicht völlig gleichgültig.
Ein weiterer wichtiger Weg wäre die Aufklärung der chinesischen Öffentlichkeit. Chinesische Muttersprachler mit den ausreichenden Computerkenntnissen müssen das chinesische Netz mit der Wahrheit über Xinjiang überfluten; sie müssen, sobald ein Tweet gelöscht ist, den nächsten platzieren. Das müsste professionell organisiert werden. Die chinesische Öffentlichkeit ist islamfeindlich und durch Regierungspropaganda aufgehetzt, sie ist nicht informiert. Dass die chinesische Öffentlichkeit die ungeheuerlichen Vorgänge in Xinjiang billigen würde, wenn sie direkt mit der vollen Wahrheit konfrontiert würde, wage ich zu bezweifeln. Im Netz regt sich gerade jetzt viel Unmut und Spott gegen Xi Jinping. Eine gesteuerte Netzkampagne könnte da Wirkung zeigen.
Uigurische Exiliorganisationen, gerade der World Uighur Congress agieren grundfalsch. Nicht nur machen sie sich zum verlängerten Arm des Westens, mit ihrem stupiden Beharren auf Unabhängigkeit für Ost-Turkestan schließen sie Dialog mit Peking aus und geben der VR China das Instrument in die Hand, die legitimen Rechte von Uiguren auf Gleichberechtigung als Bürger Chinas, Freiheit in der Ausübung ihrer Religion, Erhalt ihrer Sprache, Kultur und Lebensweise unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Separatismus mit Füßen zu treten. Kein Staat wird sich selbst aufgeben und Separatismus zulassen. Kein seriöser anderer Staat wird das unterstützen; gerade einige muslimische Staaten haben selbst Separatismusprobleme.
Die Uiguren waren in ihrer Mehrheit an Separatismus genausowenig interessiert wie an Terrorismus. Die uigurischen Exilorganisationen haben die wahren Interessen ihrer Landsleute in China nicht vertreten. Gewiss, jetzt hat auch der letzte Uigure jede Hoffnung auf ein irgendwie erträgliches Leben verloren. Es gibt gewiss kaum mehr einen, der China nicht abgrundtief hasst. Jetzt – zum ersten Mal – wäre gewiss fast jeder bereit, alles zu tun, um sich zu retten. Niemand hat mehr etwas zu verlieren. Die flächendeckende Folter der Uiguren ist ein Terrorzuchtprogramn. Hört China nicht rechtzeitig auf, wird es ein Terrorismusproblem bekommen, wie es das zuvor in China nie gab. Das wäre das Ende jeder vernünftigen Lösung. Es würde zu einer endlosen Spirale der Gewalt führen ohne Sieger. Was China in Xinjiang tut, ist nicht im nationalen Interesse Chinas. Wer einen guten Draht nach China hat, sollte versuchen, das in den Kreisen chinesischer Amtsträger zu verbreiten.
Ich bin skeptisch, Xi Jinping und die Verbrecherclique um ihn ist zu Mäßigung, Vernunft und Umkehr fähig. Xi hat die Partei unter dem Vorwand von Antikorruptionskampagnen gesäubert. Er scheint immer noch Gegner zu haben: die Korruptionsvorwürfe gegen so hohe Beamte wie Nur Bekri und den ehemaligen chinesischen Präsidenten von Interpol weisen in die Richtung einer neuen großen Säuberung. Die Partei muss sich von Xi und seiner Clique säubern. Dann gibt es Hoffnung auf Vernunft. Jedes Mittel, Xi zu schwächen, durch Druck auf die Wirtschaft, auf diplomatischen Wegen ist sinnvoll – im Interesse aller, auch der VR China.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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