Von Yasin Baş
Wenn der Tod eines Muslims absehbar bevorsteht, versammeln sich die Angehörigen und Freunde um sein Bett. Dabei wird der Qur’an rezitiert und der Sterbende wiederholt, wenn er dazu in der Lage ist, das islamische Glaubensbekenntnis. Das Glaubensbekenntnis sollten die letzten Worte eines im Sterben liegenden Muslims sein. Unmittelbar nach dem Tod wird die Person von nahen Angehörigen oder von männlichen beziehungsweise weiblichen Religionsgelehrten – je nach Geschlecht des Verstorbenen – rituell gewaschen. Nach der Waschung wird der/die Verstorbene mit einem weißen Leichentuch umhüllt.
In der islamischen Praxis ist es üblich, den/die Verstorbene/n auf Grund der klimatischen Verhältnisse in den muslimischen Staaten innerhalb von 24 Stunden beizusetzen. Ein Sarg ist lediglich für den Transport zum Friedhof vorgesehen. Eine der wichtigsten Verpflichtungen der muslimischen Gemeinde ist weiterhin die Verrichtung des Totengebets unter der Anleitung eines Imam. Während dieser Prozedur bittet der Vorbeter die Anwesenden außerdem, mögliche Fehler des Verstorbenen zu vergeben. Daraufhin erwidern die Anwesenden mit lauter Stimme, dass sie dem Verstorbenen verzeihen. Danach wird der Leichnam – wenn möglich – ohne einen Sarg auf der rechten Körperseite liegend, das Gesicht in Richtung Mekka gewandt, in das Grab gelegt. Eine Einäscherung des Toten wird im Islam abgelehnt, weil der Mensch zur Erde zurückkehren soll, von der er stammt.
Die Ausrichtung des Toten nach Mekka und die islamische Überzeugung, dass die Grabstätte auf ewig angelegt sein muss, stellt bei der Bestattung von Muslimen die größte Hürde zwischen den zuständigen Behörden und den islamischen Gemeinden dar, weil das gegen die deutsche Beerdigungsvorschriften und die Friedhofssatzungen der Kommunen verstößt. In den letzten Jahren gab es hierbei aber immer öfter Ausnahmeregelungen sowie Kompromisse zwischen islamischen Gemeinden und Kommunen.
Viele muslimische Dachverbände in Deutschland bieten Hilfe im Trauerfall an. Dem Dachverband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) ist seit 1991 der Verein DITIB-Zentrum für Soziale Unterstützung angeschlossen, der unter anderem bei der Überführung im Todesfall seine Dienste leistet.
Vereinszweck
„Das Ziel unseres Vereins ist sowohl die Beratung in einem Todesfall, die Organisation der Beerdigung und einer eventuellen schnellen sowie unbürokratischen Überführung in die ‚Heimat‘ als auch die gegenseitige Unterstützung und Hilfe in den schweren Tagen des Abschieds“, sagt Ali Özdemir, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des DITIB-Zentrum für Soziale Unterstützung e.V. Der Verein vermittelt zwischen Angehörigen und den muslimischen Bestattungsunternehmen, nimmt Kontakt mit den türkischen Generalkonsulaten sowie den deutschen Standes- und Bestattungsämtern auf und erledigt vor Ort die Formalitäten. Özdemir weiter: „Wir stellen unseren Mitgliedern in ihrer wohl schwierigsten und schmerzhaftesten Zeit eine schnelle und unbürokratische Hilfe sicher“.
Für den Transport der Verstorbenen in das Herkunftsland arbeitet der Verein mit muslimischen Bestattungsunternehmen, zu denen unter anderem auch das interne Bestattungsunternehmen, die DITIB-ZSU GmbH zählt, zusammen. Ali Özdemir betont, dass bei einem Todesfall der Leichnam von den verstorbenen Vereinsmitgliedern oder ihren Angehörigen vom Todesort bis zum Bestattungsort in der Türkei oder in Deutschland überführt werde. Da der Verein seinen Mitgliedern lediglich die Überführung, nicht aber die Bestattung selbst finanziert, könnte der Name „Bestattungshilfe“ vielleicht irritieren. Im Grunde handelt es sich um eine „Überführungshilfe“. Eine Bestattung bieten der Verein und das kooperierende Bestattungsunternehmen zwar ebenfalls an, dies wird aber gesondert kalkuliert.
„Der Verein steht sozusagen allen, an der Bestattung nach islamischem Recht, Ritual und Tradition interessierten Personen, Gruppen, Institutionen und staatlichen Stellen als Ansprechpartner zur Verfügung“, erklärt Özdemir. „Er bedient nicht ausschließlich türkische, sondern auch andere in Deutschland lebende Muslime“.
Mitgliedschaft
Nach Angaben von Serdar Demir, ehemaliger Geschäftsführer der DITIB-ZSU GmbH, in der auch das hauseigene Bestattungsunternehmen integriert ist, könne jede natürliche Person mit Wurzeln in die Türkei, somit auch deutsche Staaatsbürger mit türkischem und muslimischem Hintergrund und deren Ehepartner in den Verein aufgenommen werden. Diese müssen nicht zwingend türkische oder muslimische Wurzeln aufweisen.
Für den Erwerb der Mitgliedschaft reicht es, einen Antrag an den Vereinsvorstand zu richten. „Die Mitgliedschaft tritt dann nach 90 Tagen ab dem Eintrittsdatum in Kraft“, sagt Demir. „Arbeits-, Verkehrs- oder sonstige Unfälle während dieser 90 Tage werden aber vom Verein wohlwollend berücksichtigt“. Bedeutend sei der Hinweis, dass der Ehepartner des Mitgliedes und alle ledigen Kinder unter 18 Jahren in die Mitgliedschaft des „Familienoberhauptes“ eingegliedert sind.
Mitgliedsbeiträge
Die Mitgliedsbeiträge des Vereins sind nach Altersgruppen gegliedert. Mitglieder zwischen 18 und 30 Jahren sind von der Anmeldegebühr befreit. Sie entrichten wie alle anderen Mitglieder aller Altersgruppen einen Jahresbeitrag von 50,00 EURO. Personen ab 31 Jahren zahlen dagegen je nach Alter, eine Eintrittsgebühr zwischen 60,00 EURO und 500,00 EURO.
Mitglieder- und Verstorbenenzahlen
In dem DITIB-Zentrum für Soziale Unterstützung e.V. sind 217.145 Familien als Mitglieder eingetragen. Als Einzelmitglieder kann der Verein insgesamt 533.331 Personen vorweisen. Bis zum Jahr 2010 sind 24.401 Mitglieder verstorben. Mehr als 99 Prozent der Verstorbenen wurden bis jetzt in die Türkei überführt. Zwischen 2000 und 2005 wurden 10.281 verstorbene Mitglieder in die Türkei transportiert, lediglich 92 wurden in Deutschland bestattet. Zwischen den Jahren 2006 und 2010 wurden 10.472 Personen in die Türkei überführt und 127 Verstorbene in Deutschland beigesetzt. Für das Jahr 2009 weist die Statistik des Vereins 2402 tote auf, von denen 2358 Personen in die Türkei geflogen und 44 Personen in Deutschland beerdigt wurden.
Ausblick auf Überführungen in der Zukunft
An den genannten Zahlen lässt sich erkennen, dass die überwiegende Mehrheit der Verstorbenen immer noch in die ehemalige „Heimat“ überführt wird. „Da der Verein keine Befragungen zu den Gründen der Überführungen in die Türkei durchführt“, sagt der Sozialwissenschaftler Mehmet Akif Oğuzsoylu, „können nur vage Vermutungen über Wünsche und Beweggründe für die mehrheitlichen Überführungen in das Herkunftsland angestellt werden: Bei den Verstorbenen handelt es sich überwiegend um Menschen aus der so genannten ersten Einwanderergeneration aus der Türkei. Diese Personen fühlen sich immer noch sehr stark mit dem Land verbunden“.
„Bei den Generationen der heutigen Jugendlichen und Kinder, also der dritten und mittlerweile vierten Generation, könnte sich eine leichte Veränderung für die Zukunft deuten lassen, da Eltern, deren Töchter und Söhne im Kindes- und Jugendalter in Deutschland versterben, ihre Kinder in ihrer ‚Nähe‘ haben möchten und sie tendenziell in Deutschland beerdigen lassen“, bemerkt Oğuzsoylu. Des Weiteren sei davon auszugehen, dass heutige Kinder und Jugendliche, die hier geboren werden, hier aufwachsen und ihre Sozialisation in diesem Land erfahren, in Zukunft immer öfter in Deutschland beerdigt werden wollten. „Da Deutschland der Lebensmittelpunkt dieser Jugendlichen ist, können wir von einem ganz natürlichen Prozess einer multireligiösen und multikulturellen Migrationsgesellschaft sprechen“, sagt der Sozialwissenschaftler. Das sei Fakt und zeige sehr wohl, dass der Islam zu Deutschland gehöre, auch wenn bestimmte Kreise medienwirksam das Gegenteil behaupteten.
Zudem herrschen in deutschen Friedhöfen mehrheitlich Vorschriften, die die Muslime dazu bewegen, ihre Verstorbenen in ihren Herkunftsländern zu bestatten. Beispielsweise darf in der Bundesrepublik ein Grabfeld nach geltenden Regeln lediglich zwischen 15-30 Jahren bestehen. Wobei es auch hier Ausnahmen gibt. Aber auch auf Grund des in den meisten Kommunen und Friedhofssatzungen bestehenden Sargzwanges überführen noch immer überdurchschnittlich viele Muslime ihre Verstorbenen in ihre Heimatländer.
Ein wichtiges Indiz dafür, dass muslimische Einwanderer in Deutschland einheimisch werden, wird dadurch erkennbar, dass die Nachfrage nach muslimischen Grabfeldern hier zunimmt. Mittlerweile bestehen auf zahlreichen deutschen Friedhöfen Sonderregelungen, die eine Erdbestattung oder eine Verlängerung der Ruhefristen in Wahlgräbern garantieren. Andere Friedhofsatzungen gehen Kompromisse ein, die darin liegen, dass die Verstorbenen unter anderem in Leichentücher gewickelt und ohne Sargzwang bestattet werden können. Zahlreiche Bundesländer wie Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder das Saarland haben den Sargzwang auf den Friedhöfen liberalisiert. „Finanzielle Aspekte spielen bei der Wahl des Bestattungsortes wie vielerorts irrtümlich angenommen keine schwerwiegende Rolle, da die Kosten einer Überführung ungefähr dem einer Erdbestattung in Deutschland entsprechen“, betont Serdar Demir in diesem Zusammenhang.
Tätigkeitsregionen des Vereins
Die DITIB-Zentrum für Soziale Unterstützung GmbH ist heute in den folgenden sieben Regionen in Deutschland vertreten: Region München, Region Nürnberg, Region Stuttgart, Region Frankfurt, Region NRW, Region Münster, Region Berlin durch ihre Filialen vertreten. Hier unterhält die ZSU GmbH neben ihren Bestattungsunternehmen auch zahlreiche Leichenhallen, Reiseagenturen sowie Buchläden. Geplant sind in absehbarer Zeit überdies Vertretungen in den Regionen Karlsruhe, Hannover/Bremen und Hamburg.
„Wenn beispielsweise in der Nähe von Stuttgart jemand verstirbt und der Verein die GmbH-Zentrale in Köln darüber benachrichtigt, beauftragen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzüglich einen dort angestellten Bestattungsfahrer, der sich unmittelbar um die Angelegenheit kümmert und innerhalb kürzester Zeit mit der Abwicklung der Formalitäten für die Überführung beginnt“, sagt Serdar Demir.
Verfahrensweise des Vereins im Sterbefall
Liegt ein Sterbe- und damit ein Beihilfefall eines Mitglieds vor, beauftragt der Verein ein Bestattungsunternehmen, in der Regel die hauseigene DITIB-ZSU GmbH. Demir rät den Angehörigen von Verstorbenen für eine noch schnellere Bearbeitung des Hilfefalls, folgende Unterlagen zur Aushändigung für den/die Bestattungsfahrer/in bereit zu halten: „Für eine reibungslose und schnelle Bearbeitung des Hilfefalls benötigen wir den Pass, den Personalausweis und das internationale Familienbuch oder falls er/sie verheiratet war, die Übersetzung der Heiratsurkunde der/des Verstorbenen“. Finde der Todesfall zu Hause statt, so müsse, wenn möglich, der Hausarzt der/des Verstorbenen unterrichtet werden. Wenn dies nicht möglich sei, müsse der Todesbericht durch einen Notarzt ausgestellt werden.
Sobald sich die beauftragte Bestattungsfirma mit den Angehörigen der/des Verstorbenen in Verbindung setzt, nimmt sie die für die Formalitäten erforderlichen Unterlagen entgegen. Das beauftragte Bestattungsunternehmen holt danach den Leichnam nach der ärztlichen Untersuchung und der Ausstellung des „natürlichen Todesberichtes“ vom Todesort ab. „Nach Wunsch kann der Leichnam aber auch am Todesort nach islamischen Traditionen gewaschen und in ein Leichentuch eingehüllt werden“, ergänzt Demir. Anschließend finde das Trauergebet statt. Im Todesfall eines nichtmuslimischen Mitglieds beziehungsweise seiner Familienmitglieder werde der Leichnam ebenfalls durch das Bestattungsunternehmen vom Todesort zum Bestattungsort gebracht. Demir berichtet, dass in der Regel die Trauerfeier und die Bestattung von den Familienmitgliedern organisiert werde.
Wenn dagegen nach der ärztlichen Untersuchung des Leichnams ein Verdacht bestehe, es handle sich hierbei um einen „fragwürdigen“ Tod, werde der Leichnam von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. „Unsere Mitarbeiter/innen dürfen den Leichnam dann ohne die ‚Freigabebescheinigung’ nicht übernehmen“, berichtet Demir. Dieses Schriftstück wird von der Staatsanwaltschaft in einem gerichtsmedizinischen Bericht ausgestellt. Hiernach beantragt die Firma bei dem zuständigen Standesamt eine „Bestattungserlaubnis“ zum Bestattungsort in Deutschland oder die „Bescheinigung zur Überführung des Leichnams“ zur Bestattung in die Türkei bzw. ins Ausland. Werde der Leichnam in Deutschland beerdigt, so werde er in einem Sarg von dem Bestattungsunternehmen zum Bestattungsort überführt. „Die Kosten für das Grab und die Beisetzung übernehmen aber die Familienmitglieder, hierfür wird keine Beihilfe von dem Verein gewährt“, unterstreicht Demir.
Solle der Leichnam dagegen in der Türkei beerdigt werden, so werde er in einem nach internationalen Standards beschaffenen Sarg, von einem deutschen Flughafen aus zu eines der türkischen Flughäfen nach Adana, Ankara, Antalya, Diyarbakir, Elazig, Erzurum, Malatya, Istanbul, Izmir, Kayseri, Konya, Samsun oder Trabzon transportiert. „Von dort aus wird der Leichnam entweder mit einem Fahrzeug der türkischen Stiftung für religiöse Angelegenheiten (TDV) oder mit einem Fahrzeug eines Bestattungsunternehmens zum endgültigen Friedhof überführt“, erklärt Demir. Auch hier obliegen die Bestattungskosten den Familienangehörigen.
Erwähnenswert ist ebenfalls, dass die Kosten eines Hin- und Rückflugtickets für eine Begleitperson aus dem Familienkreis der/des Verstorbenen, die bei der Bestattung anwesend sein möchte, nach vorheriger Benachrichtigung des Vereins, erstattet wird.
Da die vor mehreren Monaten über Europa schwebende Aschewolke oder das Schneechaos auch die Tätigkeit des Vereins beeinträchtigt habe, weist Demir nochmals darauf hin, dass der Verein für Verspätungen oder Unstimmigkeiten, die durch Behörden, Feiertage, Fluggesellschaften, Witterungen oder Naturkatastrophen entstehen, keine Verantwortung übernehmen könne. Auch wenn solche Probleme manchmal stattfinden und die Mitglieder ungeduldig werden, wie heiße es doch: „Eile mit Weile“.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.