Start Panorama Gesellschaft Verfassungsreform in der Türkei „Kauft nicht beim Türken“: Erdogan-Kritik erreicht neue Stufe

Verfassungsreform in der Türkei
„Kauft nicht beim Türken“: Erdogan-Kritik erreicht neue Stufe

Ein Angriff auf die Werte der liberalen Demokratie ist ein Angriff auf uns alle: Unter diesem Motto wollen immer mehr Deutsche die Türkei als Urlaubsland meiden. Aber auch die türkische Community im eigenen Land will erzogen werden. Deshalb will etwa ein "deutscher Demokrat" in Lingen künftig alle türkischen Geschäfte meiden und erhält eine große Unterstützung.

(Foto: Yavuz Markt)
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Für Ehre und Würde, gegen Landesverräter: Deutsche Demokraten machen gegen die Türkei mobil

Dortmund (nex) – Die eskalierenden Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Deutschland haben in Deutschland ein neues „Wir“-Gefühl geschaffen. Begriffe wie Ehre, Würde oder Gerechtigkeit, von denen rechtskonservative Politiker beständig behaupteten, Deutschland hätte sie unter der Last seiner Vergangenheit als zu belastet abgelegt, stehen dank dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan wieder hoch im Kurs.

Anders als es sich aber Björn Höcke oder andere populistische Politiker erträumen würden, ist es kein souveränistisches oder revanchistisches, sondern das „demokratische, weltoffene und liberale Deutschland“, das die Zähne zeigt und um seine Werte kämpft. Ein Deutschland, das so konsequent mit seiner Vergangenheit gebrochen hat, dass es sich bereit und entschlossen sieht, andere Länder und andere Völker davor zu bewahren, selbst zum Täter zu werden.

Als besonders gefährdet, zu dem zu werden, was man selbst nie wieder sein möchte, sehen die entschlossenen deutschen Demokraten derzeit neben Russland, Polen, Israel, Ungarn oder den USA vor allem die Türkei und die Türken. Das Verfassungsreferendum im April, das Vorgehen gegen Putschverdächtige, Journalisten oder die Terrororganisation PKK und die insgesamt steigende Verbundenheit mit der Heimat der Eltern und Großeltern lässt bei vielen von deutschen Leitmedien sensibilisierten Deutschen die Alarmglocken schrillen.

Um im Kampf gegen Autoritarismus und die Infragestellung europäischer und universeller Werte nie wieder wehrlos zu sein, schließen sie die besorgten deutschen Demokraten nun auch zusammen und nehmen Türken in der Türkei, aber auch in Deutschland selbst in die Pflicht, es ihnen gleichzutun. Deshalb wollen auch viele Deutsche die noch vor wenigen Jahren als Urlaubsland beliebte Türkei künftig als Urlaubsland meiden.

(Foto: Screenshot/Facebook)

Die Aussicht, mit dem eigenen Urlaubsgeld vielleicht eine Diktatur und deren Menschenrechtsverletzungen zu unterstützen, lässt immer mehr Deutsche von einem Aufenthalt in der Türkei Abstand nehmen und auf Alternativen wie Ägypten, Philippinen oder Thailand umsteigen. Rainer Petermann schreibt dazu auf Facebook:

„Wer auch nur ein Minimum an Charakter hat ( von Ehre möchte ich gar nicht sprechen ) der sollte , ( der muss ) auf jeden Türkei Urlaub verzichten.“

Christa H. assistiert ihm und findet auch klare Worte in Richtung der türkischen Bevölkerung:

„Wäre ich Türkin, würde ich mich für mein Land schämen…. Hier geht es nicht um „wer hat angefangen“.

Hannelore B. wiederum sieht es als patriotische Pflicht, sich dem moralischen Feldzug ihrer Landsleute zum Kampf für eine Demokratie in der Türkei anzuschließen, auch wenn das mit persönlichen Opfern verbunden ist:

(Screenshot/Facebook)

 

Ein Herr aus Lingen, der anonym bleiben wollte und sich „Deutscher Demokrat“ nennt, treibt diese „Kauft nicht beim Türken“-Kampagne nun in eine erschreckende Stufe.

Er setzt auf mehr Entschlossenheit und Härte im Umgang mit der türkischen Einwanderercommunity in Deutschland und hat deshalb die seit 25 Jahren als Lebensmittelhändler in der Stadt ansässige Familie Yavuz darüber unterrichtet, dass er und seine Freunde die jüngsten Beleidigungen gewählter deutscher Spitzenpolitiker durch türkische Regierungsmitglieder zum Anlass nehmen möchte, nicht mehr in türkischen Geschäften einzukaufen. Dies gelte auch für die Familie Yavuz selbst.

Ziel der Kampagnen ist es offenbar, durch die Entfaltung wirtschaftlichen Drucks die türkische Bevölkerung in Deutschland und in der Türkei selbst dazu zu bewegen, beim bevorstehenden Referendum ihre Zustimmung zur umstrittenen Verfassungsreform hin zu einem Präsidialsystem zu verweigern Allerdings ist es offensichtlich, dass nun auch viele Ausländerfeinde auf den Zug der Erdogan-Kritik aufspringen und ihren Hass freien Lauf lassen können.

 

Familie Yavuz antwortete wie folgt auf das Schreiben:

Liebe Kunden,

soeben erreichte uns dieser Brief und löste Entsetzen in uns aus. Wir sind nun seit 25 Jahren als Familienunternehmen hier etabliert und fühlen uns auch als Teil von Lingen. Wir haben uns immer von politischen, kulturellen und religiösen Diskussionen distanziert. Und gerade deshalb möchten wir diesen Brief nicht anerkennen. Trotz dessen möchten wir alle, die derselben Meinung sind, bitten von einem weiteren Besuch bei uns abzusehen.

Allen anderen Kunden und Freunden, die uns wirklich kennen, möchten wir uns für die langjährige Treue und Freundschaft danken.

Einen schönen Tag wünscht Ihnen die Familie Yavuz

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