Moskau (nex) – Im Vorfeld des ersten persönlichen Zusammentreffens nach der diplomatischen Krise vom November 2015 zwischen den Präsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, und der Russischen Föderation, Wladimir Putin, am Dienstag in St. Petersburg wurden nun Details über den Brief Erdoğans an seinen russischen Amtskollegen bekannt.
Die Krise, die durch den Abschuss eines Su-24-Kampfflugzeugs an der türkisch-syrischen Grenze ausgelöst worden war, hatte vor allem mehreren Wirtschaftszweigen wie dem Tourismus oder den Lebensmittelexporteuren schwer geschadet und auch Antiterroroperationen der türkischen Armee gegen die Terrormilizen IS und PKK jenseits der Grenzen erschwert. Wie sich nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli herausstellen sollte, gehörte der Pilot, der für den Abschuss verantwortlich war, dem Gülen-Netzwerk an. Er soll bewusst seinen Ermessensspielraum überschritten haben, um den Beziehungen zwischen beiden Ländern zu schaden.
Die Krise endete mit einem Entschuldigungsschreiben des türkischen Präsidenten Erdoğan an seinen russischen Amtskollegen am 24. Juni, dem am 27. Juni ein offizielles Statement des Kremls folgte. Mittlerweile kamen weitere Details bezüglich des Normalisierungsprozesses ans Tageslicht, zu dem bereits mehrere Persönlichkeiten für sich in Anspruch genommen hatten, einen Beitrag geleistet zu haben – unter anderem der umtriebige Vorsitzende der „Vaterlandspartei“ (Vatan Partisi), Doğu Perinçek.
Präsident Erdogan und sein Sprecher İbrahim Kalın nannten nun mehrere Namen im Zusammenhang mit den Bemühungen zur Wiederherstellung der guten Beziehungen zwischen Moskau und Ankara. Dabei wurden insbesondere der Präsident der Republik Kasachstan, Nursultan Nasarbajew, der Textilunternehmer und frühere Minister Cavit Çağlar und Generalstabschef Hulusi Akar lobend erwähnt. Diese drei Personen hätten in einer „patriotischen Initiative“ ihre Beziehungsnetzwerke und Kanäle genutzt, um an Dagestans langjährigen Präsidenten Ramazan Abdulatipov heranzutreten, den langjährige Beziehungen mit dem Unternehmer verbanden. Abdulatipov wiederum gelang es, über dessen Chefberater Juri Ushakow Kontakt zu Putin herzustellen.
Erdoğan stimmte am 30. April in Istanbul den von keinem der Beteiligten offiziell bestätigten Darstellungen zufolge dieser Form der Herstellung diplomatischer Gesprächskanäle zu, die auf Grund der anfänglichen Weigerung Putins als die einzig zielführenden erschienen. Çağlar galt als zuverlässig, da er als Minister der Regierungszeit Süleyman Demirels bereits in diplomatische Missionen eingebunden war und aus dieser Zeit das Vertrauen Akars genoss. So hatte Çağlar 1999 einem Spezialteam der Nationalen Geheimdienstorganisation (MİT) einen Privatjet zur Verfügung gestellt, um nach Kenia zu reisen und in einer gemeinsamen Aktion mit der CIA den Führer der terroristischen PKK, Abdullah Öcalan, festzunehmen. Kalın wiederum habe in enger Zusammenarbeit mit Ushakow am Entwurf des Schreibens gefeilt, während Çağlar und Abdulatipov zwischen den Hauptstädten umherpendelten, um die erforderlichen Feinsteuerungen bezüglich der Endfassungen zu vollziehen.
Am 22. Juni ließ der kasachische Botschafter in der Türkei, Zhanseit Tuimebajew, Kalın mitteilen, dass Putin mit der Fassung einverstanden wäre, die Nasarbajew mit ihm erörtert hätte. Eine Schwierigkeit war aus Sicht Erdoğans noch die Verwendung der Worte „Entschuldigung“ und „Entschädigung“. Vor dem Hintergrund, dass die Türkei damals davon ausging, dass der Abschuss in Ausübung der legitimen Verteidigung eigener Grenzen erfolgt sei, bereitete dieser Part noch Probleme. Mithilfe der kasachischen Kanäle und russischer Dolmetscher konnte am Ende noch ein Kompromiss in der Formulierung gefunden werden, der dem russischen Begriff für „Bedauern“ entsprach.
In Taschkent wurde Ushakow das Schreiben übergeben. Putin akzeptierte dieses am Ende trotz der etwas abgeschwächten Entschuldigung und gab grünes für die Verkündung des Statements am 27. Juni, einen Tag, nachdem die Türkei bereits ihre Beziehungen zu Israel normalisiert hatte. So konnte die Türkei noch die angespannten Beziehungen zu zwei wichtigen Ländern in ihrer Nachbarschaft normalisieren, ehe sie selbst am 15. Juli vor die ultimative Zerreißprobe gestellt wurde. Präsident Erdoğan zufolge war Putin der Erste, der zum Telefonhörer griff und ihm gegenüber unmissverständlich den Putschversuch jenes Tags verurteilte.