Dortmund (4RFEH) – Wer bei uns im Geografieunterricht aufgepasst hat, dem hätte möglicherweise nicht so leicht das passieren können, was in den letzten Wochen anscheinend einigen deutschen Studenten in der Türkei widerfahren ist und nun plötzlich ungläubiges Staunen bei „Report Mainz“, im „Focus“ und in weiteren diversen Formaten auslöst.
Unser Lehrer, ein schon von seiner Ausbildung wegen weitgereister Mann, erzählte damals, gegen Ende der 1980er Jahre, in der Zeit des Falls des Eisernen Vorhangs, von seinen Erfahrungen im Zusammenhang mit Bildungskongressen und Studienreisen nach Osteuropa.
Je mehr sich die Staaten öffneten, umso unproblematischer war es für Touristen und Kongressgäste, die Sehenswürdigkeiten und Landschaften der ehemals sozialistischen Staaten zu fotografieren. Ein Tabu stellte es aber anhaltend dar, Hafenanlagen zu fotografieren, und wenn sich darin gar sowjetische Kriegsschiffe befanden, konnte man als Gast in dem Land sogar in ziemlich gravierende Schwierigkeiten geraten.
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Der Kalte Krieg war eben immer noch nicht zu Ende, nach wie vor war die Angst vor einem möglichen Überraschungsangriff des jeweiligen Gegners zu groß, als dass man Fremden erlauben wollte, sensible Bereiche fotografisch einzufangen. Heute herrschen keine Bedingungen des Kalten Krieges mehr, und auch in der Türkei genießen Touristen grundsätzlich alle Freiheiten, wenn es darum geht, Städte, Landschaften und Menschen zu fotografieren.Allerdings wird die Türkei – und dies dürfte auch den in das Land Einreisenden nicht völlig unbekannt sein – seit fast einem Jahr wieder massiv von blutigen Terroranschlägen heimgesucht, die aus den verschiedensten Richtungen kommen: von der PKK, dem Daesh oder auch der DHKP/C.Ihr Ziel sind vor allem staatliche Sicherheitsbehörden, aber auch Zivilisten. Die Anschläge werden in professioneller Weise für die propagandistische Ausschlachtung in den sozialen Medien vorbereitet, die meist erst beginnt, wenn der Selbstmordattentäter selbst längst das Zeitliche gesegnet hat. Aus diesem Grund ist es aber auch – vor allem in Zeiten wie diesen – so absolut nicht zu empfehlen, ausgedehnte Fotosessions oder Selfie-Serien vor Militärkasernen, Regierungsgebäuden und Polizeirevieren durchzuführen.Dass ein solches Verhalten als durchaus verdächtig wahrgenommen werden sowie Polizeigewahrsam, Verhöre, Leibesvisitationen, Konfiszierungen von Handys und Fotoapparaten und sogar Abschiebungen nach sich ziehen kann, sollte vor diesem Hintergrund nicht verwundern. Spielt sich das Ganze auch noch in ausgewiesenen Sicherheitszonen oder Sperrgebieten ab, kann es noch weit ungemütlicher werden. „Report Mainz“ zufolge soll sich seit Anfang 2015 die Zahl derartiger Vorfälle mit deutschen Staatsangehörigen bereits auf etwa 20 belaufen.Gemessen an der angespannten Situation und der permanenten Terrorgefahr ist das nicht einmal übermäßig viel. Jeder einzelne Fall hätte jedoch möglicherweise verhindert werden können. Dass es so weit gekommen ist, hat nicht zuletzt auch mit der romanhaften, einseitigen und unempathischen Berichterstattung der deutschen Leitmedien zu tun, die jede Türkeimeldung in erster Linie als Herausforderung dahingehend betrachten, auf noch klarere Weise als der Mitbewerber den vorgegebenen Klassenstandpunkt zu transportieren und das Märchen von dem bösen Sultan und den braven Freiheitskämpfern auszuschmücken, statt tatsächlich einen Eindruck davon zu vermitteln, wie sehr das türkische Volk Tag für Tag unter dem Terror zu leiden hat und wie dieser in ihren Alltag eingreift.Von Linken und Grünen, deren geistige Ahnen im früheren Ostblock bzw. im China der so genannten „Kulturrevolution“ wesentlich weniger liberal im Zusammenhang mit Fotoaufnahmen waren, ist offenbar nicht viel an konstruktiven Beiträgen zu erwarten.