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Syrienkonflikt
Syrien – Ein geopolitisches Schachbrett im Wandel

Die Syrien-Krise hat längst ihre Wurzeln im regionalen Machtrangeln und ist weit über die Grenzen des Landes hinaus zu einer der zentralen Konfliktzonen des Nahen Ostens geworden.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seinem syrischen Amtskollegen Ahmed al-Sharaa bei einem Treffen in Ankara im Februar 2025 (Foto: tccb)
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Ein Gastkommentar von Özgür Çelik

Die Syrien-Krise hat längst ihre Wurzeln im regionalen Machtrangeln und ist weit über die Grenzen des Landes hinaus zu einer der zentralen Konfliktzonen des Nahen Ostens geworden.

Der jüngste israelische Luftangriff auf die T-4-Basis bei Homs, der sich nicht nur gegen iranische Kräfte, sondern auch gegen türkische Interessen richtete, verdeutlicht einmal mehr, wie sehr Syrien mittlerweile als geopolitisches Schachbrett für regionale Großmächte dient.

Es ist ein Machtpoker, bei dem jeder Schritt, jede Bewegung genau beobachtet wird – und die internationalen Akteure sind längst nicht mehr nur Zuschauer, sondern Akteure, die ihre eigenen Regeln durchzusetzen versuchen.

Israel und die türkische Bedrohung: Die strategische Botschaft

Israel hat mit seiner gezielten Militäraktion in Syrien eine klare Botschaft gesendet: Jedes Expansionstreiben in Syrien – sei es durch Iran oder die Türkei – wird nicht unbeantwortet bleiben.

Die Angriffe auf die T-4-Basis, die nicht nur mit proiranischen Milizen, sondern auch mit türkischen Militärambitionen in Verbindung stehen, machen deutlich, dass Israel bereit ist, jede Bewegung in der Region zu kontrollieren und, wenn nötig, zu blockieren.

Israels Argumentation ist nachvollziehbar: Der Iran darf in Syrien keine dauerhafte militärische Präsenz aufbauen, und jede türkische Vorherrschaft könnte die strategische Balance im gesamten Nahen Osten gefährden.

Doch hinter dieser „präventiven“ Militärstrategie verbirgt sich auch ein geopolitisches Kalkül: Israel will keinen „neuen Akteur“ in Syrien – vor allem nicht die Türkei, mit der es auf vielen Ebenen konkurriert.

Die Türkei in Syrien: Machtprojektion und geopolitische Ambitionen

Die Türkei verfolgt in Syrien einen doppelten Plan: Einerseits geht es um die Schaffung von Sicherheitszonen entlang der eigenen Grenze, andererseits wird die syrische Konfliktlandschaft zunehmend als Mittel zur Expansion und Einflussnahme genutzt. Die T-4-Basis stellt in diesem Kontext eine Schlüsselposition dar.

Durch die Kontrolle über strategische Luftwaffenstützpunkte könnte die Türkei nicht nur ihre Präsenz in der Region festigen, sondern auch den iranischen Einfluss in Syrien untergraben und den Kurdenmilizen in Nordostsyrien den Raum nehmen, den sie für ihre Autonomieansprüche benötigen.

Doch diese Ambitionen stoßen auf Widerstand. Während Ankara seine militärischen Operationen als notwendig für die nationale Sicherheit darstellt, sehen die anderen regionalen Akteure dies als Bedrohung ihrer eigenen Interessen. Der jüngste israelische Angriff ist ein Indiz dafür, dass Israel den türkischen Vorstoß als direkte Bedrohung empfindet – nicht nur im Hinblick auf den iranischen Einfluss, sondern auch im Kontext der militärischen Präsenz der Türkei im Norden Syriens.

Amerikas Dilemma: Zwischen NATO-Partnern und geopolitischer Verantwortung

Die USA, die offiziell auf die Bekämpfung des IS und die Eindämmung des iranischen Einflusses in Syrien fokussiert sind, stehen zunehmend vor der Herausforderung, ihre geopolitischen Interessen in Einklang zu bringen.

Die türkische Expansion, vor allem die zunehmende Militärpräsenz in Zentral- und Südwest-Syrien, passt nicht in die amerikanische Agenda. Gleichzeitig ist Washington in der Zwickmühle, da es mit Ankara als NATO-Partner und strategischem Verbündeten in der Region zusammenarbeitet.

Doch die Widersprüche in den amerikanischen Zielen – der Kampf gegen den Iran einerseits, die Unterstützung türkischer Sicherheitsinteressen andererseits – lassen eine klare Linie schwer erkennen.

Der zunehmende Dialog zwischen Israel und den USA, wie er durch die Treffen von CENTCOM-Kommandeur Michael Kurilla und dem israelischen Generalstabschef Eyal Zamir verdeutlicht wurde, spricht eine klare Sprache: Die USA und Israel befinden sich auf einer ähnlichen Linie in Bezug auf die Bedrohung durch die Türkei, während sie gleichzeitig versuchen, das komplizierte Geflecht ihrer Beziehungen zu Ankara aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis ist eine Politik der Stille – eine Art stiller Koordination gegen türkische Ambitionen in Syrien.

Die zivilen Opfer und die steigende lokale Unzufriedenheit

Doch die geopolitischen Schachzüge, die in den Hauptstadtbüros geplant werden, haben dramatische Folgen für die Zivilbevölkerung in Syrien.

Die israelischen Luftangriffe und die Bodenoffensiven, die darauf folgten, führten zu zahlreichen zivilen Opfern und könnten zu einer neuen Welle des Widerstands führen. Die Region wird zunehmend von einer eskalierenden Gewaltspirale gezeichnet, in der lokale Akteure und Zivilisten gleichermaßen unter den geopolitischen Entscheidungen leiden.

Dieser Aspekt sollte nicht unterschätzt werden: Die zunehmende Instabilität in der Region könnte zu einem landesweiten Aufstand führen – und das könnte wiederum die gesamte regionale Ordnung destabilisieren.

Syrien als Testfeld für geopolitische Machtkämpfe

Syrien ist mittlerweile nicht mehr nur ein Land im Bürgerkrieg, sondern ein geopolitisches Testfeld für die regionalen Großmächte.

Die Türkei, die sich zunehmend als regionaler Akteur etablieren will, und Israel, das um seine Sicherheitsinteressen kämpft, sind nur zwei der vielen Parteien, die in diesem Konflikt ihre Kräfte messen.

Doch das wahre Problem ist die unklare und widersprüchliche Rolle der USA. Washington steht unter dem Druck, sowohl seine Sicherheitsinteressen zu wahren als auch seine diplomatischen Beziehungen zu seinen NATO-Partnern nicht zu gefährden.

Am Ende stellt sich die entscheidende Frage: Wird die Türkei ihren Einfluss in Syrien weiter ausbauen, oder wird Israel jeden weiteren Vorstoß mit noch schärferen Mitteln verhindern? Und welche Rolle wird die USA spielen, wenn sich die Risse innerhalb der NATO immer weiter vertiefen?

Syrien ist zu einem Schachbrett geworden, auf dem die Akteure ihre Figuren verschieben – doch der Ausgang dieses Spiels wird nicht nur von den militärischen Bewegungen, sondern auch von der Fähigkeit abhängen, die geopolitischen Spannungen zu managen. Ein fragiles Gleichgewicht, das jederzeit kippen kann.


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von NEX24 dar.


Zum Autor

Özgür Çelik studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Duisburg-Essen. Seine Fachgebiete sind die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sowie zwischen der EU und der Türkei, türkische Politik, die türkische Migration und Diaspora in Deutschland


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