Von Yasin Baş
Neue Publikation: Deutschland in der Weltpolitik I + II veröffentlicht
In einer neuen Veröffentlichung steht Deutschland im näheren Focus der türkischen Wissenschaft. In dem über 1000-seitigen Werk beschäftigen sich 40 Wissenschaftler und Fachleute, unter ihnen auch namhafte Professoren und Lehrkräfte aus verschiedenen Universitäten der Türkei mit Deutschland.
Der doppelte Sammelband mit dem Titel: „Dünya Siyasetinde Almanya I + II“ [„Deutschland in der Weltpolitik I + II“] ist Anfang des Jahres beim Verlag „Nobel Akademik Yayınları“ [Akademie Verlag Nobel] in Ankara erschienen. In der Publikation werden nahezu alle relevanten Themenbereiche deutscher Geschichte, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft erforscht. Prof. Hüseyin Bağcı, Prof. Burak Gümüş und Dr. İsmail Ermağan, die Herausgeber der Sammelbände, gelten nicht nur in der Türkei als renommierte Wissenschaftler.
Vor allem Prof. Hüseyin Bağcı von der Middle East Technical University (METU) in Ankara ist ein international anerkannter Wissenschaftler für Außen- und Sicherheitspolitik. Deutschland spielt in Bağcı’s Vita ebenfalls eine wichtige Rolle. Er studierte in Bonn und kommt heute noch oft für Vorträge oder Tagungen nach Deutschland. Der 60-jährige Professor lehrt internationale Beziehungen und ist seit langen Jahren als Deutschlandexperte bekannt.
Zudem gehört Prof. Burak Gümüş zu den Herausgebern. Gümüş ist in Deutschland geboren. Der Soziologe und Politikwissenschaftler hat seine Doktorarbeit an der Universität Konstanz verfasst. Der erst kürzlich habilitierte Wissenschaftler lehrt derzeit an der Verwaltungs- und Wirtschaftsfakultät der Universität Thrakien in Edirne. Der dritte und letzte des dreiköpfigen Herausgeberteams ist der Politologe und Soziologe Dr. İsmail Ermağan.
Auch er ist in Deutschland geboren, genauer gesagt in Hamburg. Der Migrationsexperte trat bereits als Herausgeber der Sammelbände „Dünya Siyasetinde Latin Amerika“ (2017) [„Lateinamerika in der Weltpolitik“] sowie „Dünya Siyasetinde Afrika“ (2018) [„Afrika in der Weltpolitik“] in Erscheinung. Ermağan ist ähnlich wie Bağcı oftmals als Gast in Talkrunden oder Nachrichtensendungen des türkischen Fernsehens zu sehen. Publizieren ist seine Leidenschaft.
Deutschland ist uns eine Heimat geworden
Die zentrale Bedeutung Deutschlands als viertgrößte Handelsnation der Welt entstehe aus türkischer Perspektive primär über die Existenz der Türken und Deutschtürken, dort lebten. „Deutschland ist für mindestens drei Millionen Menschen von uns eine Heimat geworden. Wir sind gegenwärtig verwandt mit diesem Land“, so die Herausgeber. Auch deshalb sind sie daran interessiert, die in der Türkei herrschenden Wissenslücken über „dieses verwandte Land“ zu füllen.
Nachschlagwerk für Unternehmer, Politiker, Imame, Künstler und Wissenschaftler
Die wissenschaftliche Publikation dient darüber hinaus als Nachschlagwerk. Im ersten Band der Publikation nehmen die Wissenschaftler in unterschiedlichen Aufsätzen die Gesichte Deutschlands und ihre Außenpolitik in den Fokus. Band zwei widmet sich einer größeren Auswahl an Themen. Hier werden unter anderem die Bereiche Wirtschaft, Gesellschaft, Regierungs- und Verwaltungssystem, Medien, Literatur, Kunst, Bildung, Sport usw. erforscht.
Für das Herausgeberteam bilden nicht nur Studenten und Lehrkräfte aus den Fachbereichen Politik- und Geschichtswissenschaften, internationale Beziehungen, Wirtschaft, Kunst oder Dergleichen eine wichtige Zielgruppe. Sie weisen auch darauf hin, dass die beiden Fachbücher über Deutschland wichtige Informationsquellen für aktive Politiker, Beamte im diplomatischen Dienst, Berater, Beschäftigte im Tourismussektor, Religionsbedienstete und Imame, Multiplikatoren sowie Mitglieder von zivilgesellschaftlichen Organisationen darstellen. Zur weiteren Zielgruppe zählen außerdem Geschäftsleute, Unternehmer und Medienvertreter. Aber auch an die übrige, breitere türkischsprachige Öffentlichkeit, die auf der Suche nach fundierten Berichten und Analysen über Deutschland ist, richten sich die beiden Sammelbände.
Breit gefächerte Themenauswahl
Die Studien sind so mannigfaltig wie ihre Autoren. Folgende Themen werden in den Publikationen untersucht: „Deutschland in der Weltpolitik“ (Prof. Dr. İbrahim Canbolat), „Die Geschichte Deutschlands 1: Von den Anfängen bis 1871“ (Dr. Max Florian Hertsch), „Die Geschichte Deutschlands 2: 1871 bis 1945“ (Begüm Kardeş), „Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland während der Phase des Kalten Krieges“ (Dr. Murat Önsoy/Zeynep Elif Koç),
„Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland nach dem Kalten Krieg“ (Dr. Ahmet Bülbül), „Die Beziehungen Deutschlands mit der Europäischen Union“ (Dr. Yusuf Çınar/Serdar Çukur), „Die deutsch-französischen Beziehungen“ (Cafer Tayyar Karadağ), „Vom Bündnis zur Rivalität: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen“ (Dr. Helin Sarı Ertem/Çağla Vural), „Die deutsch-russischen Beziehungen“ (Prof. Dr. İrfan Kaya Ülger), „Die deutsch-chinesischen Beziehungen“ (Dr. Özlem Zerrin Keyvan), „Die deutsch-israelischen Beziehungen“ (Dr. Ahmet Bülbül), „Die deutsch-türkischen Beziehungen“ (Dr. İsmail Ermağan/Prof. Dr. Burak Gümüş), „Die deutsch-iranischen Beziehungen“ (Dr. Ahmet Bülbül),
„Deutschlands Zentralasienpolitik“ (Prof. Dr. Saynur Derman), „Die Außenpolitik Deutschlands im Mittleren Osten und ihre stille Diplomatie“ (Dr. Yusuf Sayın), „Die Balkanpolitik Deutschlands in Geschichte und Gegenwart“ (Dr. Dilşad Türkmenoğlu Köse), „Von seichten Gewässern in die Tiefe: Deutschlands Afrikapolitik“ (Dr. Volkan İpek). Nachdem sich der erste Band größtenteils mit außenpolitischen und historischen Fragestellungen auseinandersetzt, werden im zweiten Band überwiegend ökonomische, gesellschaftliche, innenpolitische und administrative Fragen wie diese diskutiert: „Das politische System Deutschlands: Verwaltung und Verfassung“ (Prof. Dr. Rıza Arslan), „Wirtschaft in Deutschland“ (Faruk Kurtulmuş),
„Landwirtschaft in Deutschland: Was die strukturelle Transformation gebracht hat“ (Dr. Fatma Nil Döner), „Tourismus in Deutschland“ (Dr. Mehmet Han Ergüven/Aysel Yılmaz), „Kommunale Verwaltungen in Deutschland und die Reform der öffentlichen Verwaltung“ (Dr. Uğur Sadioğlu), „Gesellschaft in Deutschland“ (Dr. Caner Tekin), „Medien in Deutschland: Eine Analyse der Printmedien, visuelle- und Onlinemedien sowie eine Kritik an dem Mediensystem“ (Yasin Baş), „Das Phänomen der Religion in Deutschland in Geschichte und Gegenwart“ (Dr. Yusuf Yıldız), „Das Bildungs- und Erziehungssystem in Deutschland“ (Dr. Bahri Aydın),
„Deutsche Literatur“ (Dr. Mutlu Er), „Musik in Deutschland“ (Prof. Dr. Nesrin Kalyoncu), „Kino in Deutschland zwischen Markt und Politik“ (Prof. Dr. Burak Gümüş/Dr. İsmail Ermağan), „Der Sport und ihre Anwendungen in Deutschland“ (Dr. Ahmet Tarık Ergüven), „Deutscher Nationalismus von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart“ (Dr. Sevil Özçalık Dumanoğulları), „Die deutschen Stiftungen in der Welt“ (Dr. Asena Boztaş), „Die Migrationspolitik Deutschlands“ (Duygu Balkan/Dr. İsmail Ermağan/Prof. Dr. Burak Gümüş), „Die Diasporapolitik Deutschlands“ (Feyza Yıldırım Sungur), „Die Außenpolitik Deutschlands während des Kalten Krieges“ (Prof. Dr. Mehmet Öcal), „Die Bundeswehr und ihre historische Entwicklung“ (Dr. Mehmet Çanlı/Dr. Abdullah Cüneyt Küsemez). Nach dieser informationsreichen Auswahl an Themen hat der Leser am Ende seiner Lektüre zumindest einen umfangreichen Überblick über Deutschland.
Ein Geschenk für die türkisch-deutschen Beziehungen
Die beiden Bände „Deutschland in der Weltpolitik I + II“ mit so unterschiedlichen Wissenschaftlern und Experten aus diversen Disziplinen markieren einen Meilenstein für das Verständnis Deutschlands in der Türkei und für alle türkischsprechenden Menschen auf der ganzen Welt. Damit stellen die Sammelbände, sie es in dieser Form noch nicht gab, einen herausragenden Beitrag für die türkisch-deutschen Beziehungen dar.
Von der Asymmetrie auf eine gemeinsame Augenhöhe?
In den türkisch-deutschen Beziehungen, die seit langen Jahrzehnten von einer teils strukturellen, teils konjunkturellen Asymmetrie geprägt sind und sich erst seit einigen Jahren, vor allem nach den Gezi-Protesten und dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016, auf eine gemeinsame Augenhöhe bewegen, wurde so eine hervorragende Veröffentlichung lange vermisst. Mit „Deutschland in der Weltpolitik I+II“ ist der Anfang getan.
Für das bessere Verständnis beider befreundeter Staaten ist zu hoffen, dass die Zahl der Studien und Veröffentlichungen über Deutschland in der Türkei weiter zunimmt. Denn im Moment gilt die Türkei in Deutschland als sehr gut erforscht. Es gibt mehrere Institute, Fakultäten, Denkfabriken und andere teils staatliche, teils private Zusammenschlüsse, die die Türkeiforschung als Schwerpunkt haben. Hier besteht die erwähnte Asymmetrie noch fort. Jetzt liegt es an der Türkei, Institute und Think Tanks zu etablieren, Stiftungen ins Leben zu rufen, die sich explizit mit Deutschland beschäftigen. Die staatlichen Akteure, vor allem das Wissenschafts- und Forschungsministerium aber auch das türkische Außenministerium müssen hier Verantwortung übernehmen. Viel zu lange wurde diese Aufgabe teilweise vernachlässigt behandelt. Sie müssen jetzt solche Einrichtungen und Forschungsstellen fordern und fördern.
ist Politologe, Historiker, Autor, freier Journalist, Übersetzer und Berater. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?”, „nach-richten: Muslime in den Medien” sowie „Muslime in den Medien 2018″.