Die Turkmenen sind mit etwa drei Millionen Angehörigen die drittgrößte Volksgruppe im Irak nach Arabern und Kurden. Sie leben in Regionen, die nahe dem türkischen Kernland liegen und sprechen einen Dialekt des Türkischen, der jenem ähnlich ist, der in Istanbul gesprochen wird.
Kirkuk (eurasia/nex) – Ihre zahlenmäßige Bedeutung konnten die irakischen Turkmenen jedoch nie in politische Bedeutung ummünzen, und während sie bereits durch die Geschichte hindurch stetig Vertreibung, Isolation, Diskriminierung und Gewalt miterlebten, sind sie auch heute in der irakischen Politik unterrepräsentiert und ihre Anliegen werden weithin ignoriert. Mehrfach überfiel die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) turkmenische Dörfer und tötete zahlreiche Einwohner. In anderen Teilen des Iraks werden Turkmenen durch Gruppen entführt, die Lösegeld erpressen wollen. Auch unter Saddam Hussein gehörten die Turkmenen zu den Unterprivilegierten. Tausende von ihnen wurden während der 1980er Jahre im Zentral- und Südirak aus ihren Heimatdörfern vertrieben und enteignet, als eine aggressive Arabisierungspolitik im Land durchgesetzt wurde.
„Die systematische Entrechtung der und Vorenthaltung politischer Rechte gegenüber den Turkmenen begann aber bereits 1918 mit der Kolonialisierung des Irak durch die Briten“, erklärte Turhan Ketene, der Gründer und Vorsitzende der Irakischen Turkmenenfront (ITF), einst ein Dachverband aller nationalistischen turkmenischen Parteien. Heute wolle man nicht durch eine Anerkennung der Tatsache, dass die Turkmenen 13 Prozent der Bevölkerung, so eigene Angaben, ausmachen, ein weiteres Problemfeld im Land auftun, so Ketene.
Torhan Mufti, der Vorsitzende der turkmenischen nationalistischen Hak-Partei, erklärte, die Turkmenen hätten es versäumt, mehr Rechte und Freiheiten einzufordern, ihr konfisziertes Land wiederzubekommen oder sich zur Verfolgung ihrer Anliegen an die internationale Gemeinschaft zu wenden. Die Turkmenen hätten sich zu sehr an die Türkei angehängt und zu wenig eigenständig ihre Interessen auf nationaler und internationaler Ebene zur Geltung gebracht.
Die Turkmenen, die im Laufe der Jahrhunderte insgesamt sechsmal den Irak regiert hatten, bewohnen mehrere Regionen, die weit über das Land verstreut sind, leben jedoch hauptsächlich im Norden. Dort teilen sie sich Territorien mit den Kurden, die ihnen jedoch ebenfalls wichtige politische Rechte vorenthalten. Die irakischen Turkmenen sind Teil des Turkvolkes, dessen Siedlungsgebiete sich zumeist über zentralasiatische Regionen des Iran, Turkmenistans, Afghanistans, Nordpakistans und des nördlichen Kaukasus erstrecken. Sie gehören zumeist entweder dem sunnitischen oder dem schiitischen Islam an. Sie sind in zahlreichen Berufsgruppen, aber kaum in öffentlichen Ämtern vertreten. Nur zwei von 328 Sitzen im irakischen Parlament werden von Turkmenen gehalten.
Obwohl die irakische Verfassung von 1925 bereits die Turkmenen als konstitutive Entität des Irak anerkannt hatte, wurde ihnen dieser Rang später abgestritten. Erst im Juli 2012 wurden sie vom Gesetzgeber wieder als drittstärkste ethnische Gruppe des Landes anerkannt.
Damals wurde die Turkmenenregion offiziell als Turkmeneli – die Ära der Turkmenen – anerkannt und Kirkuk als deren Hauptstadt festgelegt. Die immensen Ölvorräte der Gegend – Stadtrat Sami Bayatli zufolge etwa 20 Prozent aller irakischen Ölvorkommen und 2,2 Prozent der Weltreserven – haben jedoch rasch auch die Begehrlichkeiten der Kurden geweckt, die seither um die Vorherrschaft in der Stadt kämpfen. Auch Erdgas und Schwefel sollen sich in der Erde befinden, der Boden soll zudem der fruchtbarste des gesamten Irak sein.
Der Reichtum der Turkmenenregion hat, so der frühere Technologie- und Wissenschaftsminister Rashad Mendan Omar, auch Kriminelle auf den Plan gerufen. Turkmenen wurden zu bevorzugten Opfern von Entführungen und Erpressungen durch religiöse oder politische Extremisten. Alleine im Jahr 2006 soll die Türkei insgesamt 10 Millionen US-Dollar an Lösegeld für entführte Mitglieder der turkmenischen Community bezahlt haben.
Der frühere irakische Menschenrechtsminister Mohammed Mahdi al-Bayati spricht zudem davon, dass allein im letzten Jahr 770 Turkmenen durch den IS ermordet und mindestens 960 verwundet worden seien; 350 Menschen, darunter Frauen und Kinder, würden vermisst. Etwa 590 000 Turkmenen seien auf der Flucht.
Die turkmenische Community droht umso mehr unter die Räder zu kommen, als die ethnischen Gruppen, mit denen sie die Regionen teilen, ihnen regelmäßig Mitspracherechte vorenthalten und bereits faktisch die Landkarte neu zeichnen, wobei sich eine faktische Dreiteilung des Landes abzeichnet, der im Norden die Kurden, in der Mitte die Sunniten und im Süden die Schiiten zu den führenden Volksgruppen machen sollte.
Dr. Elham Abbas, ein in Großbritannien als Gynäkologe arbeitender turkmenischer Politaktivist, beklagt, dass die Turkmenen sich zu wenig darum bemüht hätten, eine Einheit zu bilden und durch ein entsprechendes Auftreten als solche wahrgenommen zu werden. „Wir dienen immer noch den Interessen anderer und unsere Opfer werden in den Medien regelrecht ignoriert.“
Es sei an der Zeit, zu begreifen, dass es einen systematischen kulturellen Krieg gegen die Turkmenen gebe, der einem Genozid gleichkomme, heißt es vonseiten turkmenischer Aktivisten. Man müsse „hart arbeiten, um unser Erbe, unsere Sprache, unser Land, unsere Geschichte und unsere Zukunft zu bewahren“.