Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Viele der beteiligten Akteure setzen im Kampf gegeneinander auch Kindersoldaten ein – die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) stellt hier keine Ausnahme dar.
Berichte von Human Rights Watch, Amnesty International, des UN Office of the Special Representative of the Secretary-General for Children and Armed Conflicts,der UN Commission of Inquiry sowie von KurdWatch belegen, dass die Volksverteidigungseinheiten (YPG) sowie die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) der PYD regelmäßig Kinder zwischen zwölf und siebzehn Jahren rekrutieren und an der Front einsetzen. Der Einsatz von Kindern unter fünfzehn Jahren erfüllt dabei den Tatbestand des Kriegsverbrechens.
Im Jahr 2014 unterzeichnete die PYD ein Abkommen mit der Organisation Geneva Call, in dem sie zusicherte, alle Minderjährigen aus ihrem Dienst zu entlassen. Fortan sollten keine Kinder und Jugendlichen unter achtzehn Jahren mehr rekrutiert werden. Diese Zusage wurde nicht eingehalten.
Die Kampagne WAR IS NO EXCUSE will über diese Verbrechen an Kindern und Jugendlichen nicht nur aufklären, sondern internationalen Druck aufbauen, um ein Ende des Einsatzes von Kindersoldaten durch die PYD zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist der Stopp von Waffenlieferungen an die PYD von entscheidender Bedeutung. Solange sich die PYD nicht an internationalen Menschen- und Völkerrechtstandards ausrichtet, kann sie kein militärischer Bündnispartner demokratischer Staaten sein. Der Krieg in Syrien und der Kampf gegen den IS sind kein Freibrief für den Einsatz von Minderjährigen.
Kindersoldaten-Portrait: Nurman
Nurman Ibrahim Khalifa, geboren am 1. Januar 2001 in al-Hasaka, war Schülerin der neunten Klasse, als sie von der PYD entführt wurde.
Ihre Direktorin lud sie ein, an einer Kinderkonferenz der PYD teilzunehmen – Nurman stimmte zu, zumal viele ihrer Freunde und Lehrer mit der Partei sympathisieren. Doch anstatt am 5. November 2014 zur Konferenz gefahren zu werden, wurde die damals Dreizehnjährige verschleppt. Sie soll zur Guerillakämpferin ausgebildet werden. Nurman berichtet gegenüber KurdWatch:
»Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich in das Lager gebracht werde. Ich habe unterwegs aus dem Wagen heraus meinen Bruder gesehen. Ich habe nach ihm gerufen und gegen das Autofester geschlagen. Ein Kader, eine Frau, hat [zum Fahrer] gesagt: ›Fahr schneller, ihr Bruder kommt.‹ Als ich weiter gegen die Scheibe schlug, haben sie mir mit einem Gewehrkolben auf den Hinterkopf geschlagen. Ich war ohnmächtig und bin erst im Militärcamp wieder aufgewacht.«
Sie kommt zunächst in ein militärisches Trainingslager der PYD im syrischen Dorf Mela Merzê. Fünf Tage verbringt Nurman hier, gemeinsam mit etwa fünfzig anderen Personen, davon zehn weitere in ihrem Alter.
»Als ich ankam wurde mir gesagt: ›Vergiss deine Familie!‹ Wenn sie so etwas sagen, bedeutet das, dass sie keine gute Partei sind. […] Ich wollte nur mit meiner Familie sprechen. Ich wollte wissen, wie es ihnen geht. Sie haben es nicht zugelassen.«
Der Tagesablauf im Camp ist strikt geregelt: Früh um halb vier müssen die Kinder aufstehen, bis sieben Uhr wird Sport getrieben. Um sieben Uhr bleiben nur wenige Minuten für ein kärgliches Frühstück, bestehend aus Oliven. Es folgen Unterricht, ein Mittagessen bestehend aus Weizengrütze, danach bis Abends um neun Uhr »politische Schulungen«. Zum Abendessen gibt es Spagetti, wieder sind nur wenige Minuten Zeit zum essen. Täglich ist ein Schwur zu leisten auf die Freiheit des Führers, Abdullah Öcalans, und die Freiheit Kurdistans.
Nach fünf Tagen überquert Nurman mit einer Gruppe weiterer Kämpfer den Fluss Chabur, sie gelangen illegal ins Nachbarland Irak, vorbei an offiziellen Grenzkontrollen. Etwa sechzig Personen, die mit Nurman nach Irakisch-Kurdistan gebracht werden, sind in ihrem Alter, vierzig weitere sogar noch jünger. Private Gespräche sind im Camp verboten. Dennoch erzählen einige der Kinder Nurman, dass sie gezwungen wurden, mit der YPG zu gehen, und dass sie zu ihren Eltern zurück möchten.
In Irakisch-Kurdistan beginnt die eigentliche militärische Ausbildung. Gegenüber dem Magazin Fokus berichtet Nurman:
»Wir lernten, mit allen möglichen Arten von Waffen umzugehen: mit der Kalaschnikow, mit Handfeuerwaffen, Granaten, sogar mit Panzerfäusten.« Damit sollten sie ihre Heimat gegen die Terroristen des IS verteidigen, trichtern ihre Ausbilder ihnen ein. An die Mädchen appellieren sie: »Ihr seid Kurdinnen und starke Frauen. Ihr duldet keine Unterdrückung. Ihr verteidigt eure Freiheit mit der Waffe in der Hand.«
Fluchtversuche werden streng geahndet. Als Nurman in den Bergen ankommt, wird die achtzehnjährige Beritan Tolhidan bei ihrem achten Fluchtversuch gefasst. Daraufhin wird eine Versammlung einberufen, Beritan auf einer Bühne zur Schau gestellt, und eine PKK-Kommandatin hält ihr mit den Worten »diese PKK-Kugel ist zu gut für dich« eine Waffe an den Kopf. Beritan wird erschossen und ihr Leichnam in den Fluss geworfen. Um die hundertvierzig Personen müssen der Hinrichtung zuzusehen.
»Keiner traute sich, etwas zu sagen. Nur ein Mann murrte leise. Da hat ihm ›Freundin Berfin‹ ebenfalls das Gewehr an den Kopf gehalten und gesagt, sie werde mit ihm dasselbe machen.«
Zunächst fehlt Nurman der Mut zur Flucht, und beim ersten Versuch scheitern sie und ihre Freundin: Sie werden gefasst und ins Gefängnis gesteckt. Nurmans dreizehnjährige Freundin wird mit Gürtel- und Kabelschlägen gefoltert. Beim zweiten Versuch haben die Mädchen mehr Glück. Nachts gelingt ihnen die Flucht in ein etwa zehn Kilometer entfernt liegendes Dorf, wo sie über Nacht aufgenommen und am nächsten Morgen der Demokratischen Partei Kurdistans (Irak) übergeben werden.
Wir haben Dutzende Minderjährige aufgegriffen, die die PYD zwecks Militärtraining verschleppt hat«
, bestätigt ein Mitarbeiter des Peschmerga-Geheimdienstes in Erbil dem Magazin Focus. »Das Rekrutieren von Schülerinnen und Schülern ist gang und gäbe. Die Eltern können nichts dagegen tun: Sie fürchten die Allmacht der Partei.«
Nurman lebt zurzeit versteckt in Europa. Nach Syrien zurückkehren kann sie nicht, da flüchtige Kindersoldaten in der ständigen Gefahr leben, erneut verschleppt zu werden. So soll verhindert werden, dass sie von ihren Erfahrungen berichten – und die Rekrutierungspraxis der PYD öffentlich machen.
Quelle: WAR IS NO EXCUSE
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