Istanbul (ds/nex) – Ekrem Durmaz wartet am Ende einer langen Schlange außerhalb des Büros eines Unternehmens in Istanbul, das sich auf die Erledigung von Visaangelegenheiten in die EU spezialisiert hat und äußert den Frust, den auch so viele um ihn herum empfinden.
„Ich stehe hier zusammen mit 100 anderen Leuten, die alle ein Visum wollen, das ist lächerlich“, sagt er. Durmaz, der regelmäßig nach Dänemark reist, um seine Familie zu besuchen, ist einer von vielen Türken, die mit Genugtuung auf die Aussicht reagieren, nach Europa reisen zu können, ohne jedes Mal, wenn er in die EU einreisen möchte, die zeitraubende und teure Prozedur der Erlangung eines Visums auf sich nehmen zu müssen.
Wird der Deal umgesetzt, den die Türkei und der 28-Nationen-Block im Angesicht der Flüchtlingskrise abgeschlossen haben, muss er sich nie wieder in einer Schlange anstellen, um eine Einreiseerlaubnis zu erlangen.
Am Mittwoch wird die EU-Kommission eine Empfehlung an das Europäische Parlament und an die Mitgliedsstaaten ausgeben bezüglich der Frage der Zustimmung zur Visaerleichterung für türkische Staatsangehörige bis Ende Juni. Um dies zu gewährleisten, muss die Kommission zeigen, dass die Türkei 72 Bedingungen erfüllt – etwas, was von der Türkei seit einiger Zeit schnell und nachhaltig umgesetzt werde, wie Premierminister Ahmet Davutoğlu und EU-Minister Volkan Bozkir betonen.
Zu diesen Benchmarks zählen unter anderem praktische Angelegenheiten wie Dokumentensicherheit, Migrationsmanagement, öffentliche Ordnung und Sicherheit ebenso wie Fragen rund um Grundrechte und die Rückführung „irregulärer Migranten“, wie es seitens der Kommission, der exekutiven Körperschaft der EU, heißt.
Türkische Medien hatten kürzlich berichtet, die Türkei würde bereits 61 der Kriterien erfüllen und erwarte, dass ihre Staatsangehörigen spätestens Anfang Juni visafrei innerhalb der Schengen-Zone reisen könnten. Dennoch gibt es unter Türken auch gemischte Gefühle angesichts der plötzlichen Großzügigkeit der Europäer. Cem Davsan, Mitarbeiter einer privaten Visabeschaffungsfirma in Istanbul, sagt, er denke, die Änderungen bei den Visaregelungen würden lediglich bestimmte soziale Klassen in der Türkei betreffen.
„Wenn die Visafreiheit durchgesetzt wird, denke ich, dass das nur für Menschen gelten wird, die in großen Unternehmen arbeiten“, erklärte er der gegenüber der Nachrichtenagentur Anadolu.
„Ich glaube nicht, dass normale Bürger mit Mindestlohn Visafreiheit erhalten werden. Das wird nur für eine bestimmte soziale Schicht geschehen.“ Davsan, dessen Unternehmen Reisewilligen bei der Erledigung der bürokratischen Hürden im Zusammenhang mit der Erteilung von EU-Visa hilft, erklärte, die beliebtesten Reiseländer von Türken, die Urlaub in Europa machen wollten, wären Italien, Griechenland und Spanien. Auch Deutschland sei ein beliebtes Reiseziel auf Grund der großen türkischen Bevölkerung in dem Land und familiären Bindungen.
Ayla Karamate, Mitte 60 und Rentnerin, erklärt, sie habe seit den 1980ern auf die Visaliberalisierung gewartet. Sie habe kürzlich 135 Euro an ein privates Unternehmen bezahlt, das ihren Antrag zur Erledigung bringen soll.
„Ich sage mir immer und immer wieder, ich werde kein Geld mehr dafür ausgeben, aber ich mache es immer wieder.“ Neben den Visaerleichterungen hat sich die Türkei im Gegenzug zur Rücknahme von Asylbewerbern die Beschleunigung der Beitrittsverhandlungen und einen Kostenbeitrag von sechs Milliarden Euro zur Flüchtlingshilfe durch die EU zusichern lassen.
Premierminister Ahmet Davutoğlu hat zudem deutlich gemacht, dass die Türkei, sollte die Visaliberalisierung bis Ende Juni nicht unter Dach und Fach sein, ihrerseits ihr Bekenntnis zur Erfüllung des Flüchtlingsdeals überdenken werde – mit der Konsequenz, dass die Zahl der Flüchtlinge, die von der Türkei aus die griechischen Inseln erreichen, wieder massiv ansteigen könnte.
Während diese im Februar noch bei 56 000 gelegen habe, seien es der Europäischen Kommission zufolge im Vormonat nur noch etwa 7800 Personen gewesen.
Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte jüngst in der „Welt am Sonntag“ an, die EU sei gut beraten, ihre Verpflichtungen ebenso zu erfüllen wie die Türkei. Dazu gehöre auch die Visaliberalisierung. Auf Sahin Çelik, einen 44-jährigen Einzelhandelsverkäufer aus Istanbul, würde diese jedoch keine Auswirkungen haben. Über die Möglichkeit, visafrei zu reisen, sagt er: „
Es ist nicht in meinem Interesse. Ich mag mein eigenes Land lieber und fahre deshalb auch eher in mein Heimatdorf in Malatya.“ Zeynep Aydin, eine türkische Geschäftsfrau, die regelmäßig nach Europa reist, sagt, die Visaliberalisierung würde „ihr Leben einfacher machen“. Aber: „Ich will meine Hoffnungen auch nicht zu hoch stecken.“