Start Geschichte NEX24-Interview Neuerscheinung: Die Braut aus dem Osmanischen Reich, Teil 1

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Neuerscheinung: Die Braut aus dem Osmanischen Reich, Teil 1

Der erste Band eines geplanten historischen Familienepos entführt die Leser in die bewegte Zeit des Osmanischen Reiches zwischen 1908 und 1922.

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Am 12. Mai veröffentlichte die Autorin Marina Bütün ihren neuesten Roman Die Braut aus dem Osmanischen Reich. Der erste Band eines geplanten historischen Familienepos entführt die Leser in die bewegte Zeit des Osmanischen Reiches zwischen 1908 und 1922.

Im Mittelpunkt stehen persönliche Erinnerungen und wahre Begebenheiten aus dem Leben der Großmutter ihres Ehemanns, die – überliefert durch ihre eigenen Erzählungen vor ihrem Tod – den roten Faden der Geschichte bilden. Entstanden ist ein eindringliches Porträt einer vergangenen Epoche, das private Schicksale mit dem großen historischen Wandel verwebt.

„Großmutter wurde im Osmanischen Reich geboren“

Der Schwerpunkt Ihrer bisherigen Veröffentlichungen lag stets auf der Türkei und dem Orient. Neben Ihrer eigenen dreiteiligen Tagebuchreihe Weißwurst mit türkischem Tee haben Sie vor allem Sachbücher wie Ratgeber Auswandern Türkei, Türkei Immobilien, Orientalisches Traumbuch und Human Design veröffentlicht. Was hat Sie dazu inspiriert, nun einen historischen Roman zu schreiben?

Die Idee, ein Buch über die verstorbene Großmutter meines türkischen Mannes zu schreiben, trug ich schon lange mit mir herum. Sie wurde noch im Osmanischen Reich geboren und verstarb in der Republik Türkei im hohen Alter von über 90 Jahren. Anfang der 1990er-Jahre hatte ich das Glück, sie bei einem Besuch in Ankara noch persönlich kennenzulernen. Ihre Erzählungen – kurze, aber eindrucksvolle Erinnerungen – ließen mich nicht mehr los.

Lange jedoch schob ich das Vorhaben vor mir her, da ich nicht wusste, wie ich diese vielen kleinen, aber faszinierenden Geschichten in ein ganzes Buch einbetten könnte. Für ein vollständiges Werk schienen sie zunächst zu fragmentarisch. Erst mit der Zeit reifte die Idee, die Episoden in einen größeren historischen Kontext einzubetten – die bewegte Epoche zwischen dem Ende des Osmanischen Reiches und dem Beginn der modernen Türkei.

„Erste Band umfasst die Jahre 1908 bis 1922“

Ursprünglich plante ich nur ein einziges Buch, doch beim Schreiben wuchs das Projekt über sich hinaus. Inzwischen ist daraus ein zweiteiliger Roman entstanden. Der erste Band umfasst die Jahre 1908 bis 1922. Der zweite Teil, der bereits fertiggestellt und derzeit im Lektorat ist, erzählt die Jahre von der Gründung der Republik 1923 bis zur Geburt meines Schwiegervaters im Jahr 1936 – mit einem kleinen Ausblick in die Zukunft.

Ursprünglich wollte ich beide Teile gleichzeitig veröffentlichen, entschied mich dann aber bewusst dafür, den ersten Band vorzuziehen – denn gelesen wird ohnehin von vorne.

Großer Bedarf an fundierten Informationen über das Osmanische Reich

Es gibt, wie Sie betonen, einen umfassenden historischen Hintergrund im Roman. Was waren ihre erwähnten „guten Gründe“ für diese Entscheidung?

Unabhängig von meinem ursprünglichen Plan, diesen Roman zu schreiben, fiel mir bereits seit Längerem in den sozialen Medien auf, dass insbesondere im deutschsprachigen Raum ein großer Bedarf an fundierten Informationen über das Osmanische Reich besteht – insbesondere über dessen letzten Jahre und den historischen Kontext des Zusammenbruchs.

Dieser Bedarf an gut recherchierten, verlässlichen Quellen hat mich zusätzlich motiviert, die Epoche nicht nur als Kulisse zu nutzen, sondern ihr im Roman einen fundierten historischen Rahmen zu geben. Die verwendeten Quellen stammen aus offiziellen, belegbaren Dokumenten und sind im Buch entsprechend ausgewiesen.

Es gibt einen großen Teil über Sultan Abdülhamid II. in ihrem Roman, hat das besondere Gründe?

Gegengewicht zu der einseitigen Darstellung des Osmanischen Reiches

Neben den wahren Familienerzählungen war es mir im Roman ein besonderes Anliegen, ein Gegengewicht zu der einseitigen Darstellung des Osmanischen Reiches in der westlichen Geschichtsschreibung zu schaffen. Im deutschsprachigen Raum dominiert bis heute weitgehend die Perspektive der „Sieger“ – jener Kräfte also, die maßgeblich zum Zerfall des Reiches beigetragen haben.

Als ich mich vor vielen Jahren erstmals intensiver mit der osmanischen Geschichte beschäftigte, war ich erschüttert über das einseitige Bild, das in Europa verbreitet wurde.

Gerade die verzerrte Darstellung von Sultan Abdülhamid II., der im Westen häufig nur als der „blutige Sultan“ bekannt ist, hat mich schon früh schockiert. Als ich mich vor vielen Jahren erstmals intensiver mit der osmanischen Geschichte beschäftigte, war ich erschüttert über das einseitige Bild, das in Europa verbreitet wurde. Es war mir ein echtes Bedürfnis, hier für mehr Differenzierung und historische Gerechtigkeit zu sorgen.

Doch tiefgreifende Aufklärung und historisches Verständnis lassen sich nicht in kurzen Social-Media-Beiträgen oder Drei-Minuten-Videos vermitteln. Eine differenzierte Darstellung dieser komplexen Zusammenhänge erfordert gründliche Recherche, Zeit und verlässliche Quellen – all das, was in den schnelllebigen Formaten unserer Gegenwart oft fehlt.

Leider ist es heute gängige Praxis geworden, nur Überschriften oder wenige Zeilen zu lesen und sich daraus eine Meinung zu bilden

Leider ist es heute gängige Praxis geworden, nur Überschriften oder wenige Zeilen zu lesen und sich daraus eine Meinung zu bilden. Viele geben sich mit halben Wahrheiten zufrieden – oder konsumieren bewusst nur jene Inhalte, die dem eigenen Weltbild entsprechen. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, dass die unbequeme Wahrheit gar nicht gewünscht ist – weil es bequemer ist, an dem festzuhalten, was man ohnehin schon zu wissen glaubt.

Die Zeit ab 1908 gehört zweifellos zu den spannendsten, aber auch schmerzhaftesten Kapiteln in der Geschichte des Osmanischen Reiches und seiner Bevölkerung. In diesem Jahr beginnt die Jungtürken-Revolution, kurz darauf wird Sultan Abdülhamid II. abgesetzt.

Es folgen die verlustreichen Balkankriege, der Erste Weltkrieg und schließlich – mit dem Vertrag von Lausanne – das offizielle Ende des Reiches.

All diese historischen Umwälzungen bilden den zeitlichen Rahmen Ihres Romans. Ist es Ihnen gelungen, diese Ereignisse mit der persönlichen Geschichte der Familie zu verknüpfen?

In meinem Buch werden die wahren Familiengeschichten eng mit den historischen Ereignissen jener Zeit verwoben – in spannenden Kapiteln, die persönliches Erleben und politische Umbrüche miteinander verbinden.

Auch viele Aspekte des osmanisch-muslimischen Alltags finden ihren Platz – etwa traditionelle Rituale bei der Namensgebung eines Neugeborenen, bei Verlobungen oder Hochzeiten. Bräuche, die vielen Menschen außerhalb dieser Kultur wenig bekannt sind.

Rund 1,2 Millionen griechisch-orthodoxe Osmanen wurden aus Anatolien nach Griechenland deportiert, während etwa 400.000 türkisch-muslimische Osmanen gezwungen wurden, ihre Heimat auf dem Balkan zu verlassen und sich in Anatolien neu anzusiedeln

Ein zentrales Thema des Romans ist außerdem der tragische und oftmals vergessene Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei:

Rund 1,2 Millionen griechisch-orthodoxe Osmanen wurden aus Anatolien nach Griechenland deportiert, während etwa 400.000 türkisch-muslimische Osmanen gezwungen wurden, ihre Heimat auf dem Balkan zu verlassen und sich in Anatolien neu anzusiedeln. Ein multikulturelles Zusammenleben, das jahrhundertelang funktionierte, wurde durch politische Entscheidungen gewaltsam beendet.

Dieser sogenannte „Bevölkerungsaustausch“ – ein Begriff, der harmlos klingt – war in Wahrheit eine menschliche Katastrophe. Die Folgen waren Arbeitslosigkeit, Armut und entwurzelte Existenzen auf beiden Seiten.

Auch die Familie im Zentrum meines Romans ist davon betroffen: Sie muss ihr Zuhause verlassen und sich den Herausforderungen eines neuen Lebens stellen. Zahlreiche Details dieses historischen Umbruchs fließen direkt in die Handlung ein.

Ein Auszug aus dem Prolog des Buches ist auf der Bestellseite veröffentlicht und gibt einen ersten Einblick in die Atmosphäre des Buches.

Die osmanische Provinz Saloniki und die gleichnamige Stadt – heute griechisch und als Thessaloniki bekannt – bildet das geografische Zentrum Ihres Romans.

Im Buch findet sich eine detaillierte Darstellung der vielfältigen Bevölkerungsgruppen und ethnischen Gemeinschaften, die dort einst zusammenlebten. Saloniki war zudem die Geburtsstadt Mustafa Kemal Atatürks, des späteren Gründers der Republik Türkei.

War das der ausschlaggebende Grund, weshalb Sie diesen Ort in den Mittelpunkt Ihrer Erzählung gestellt haben?

Nein – das ist reiner Zufall. Die Großmutter meines Mannes wurde in Saloniki als Muslimin geboren und wuchs in einer muslimischen Familie auf. Sie absolvierte ihre Ausbildung zur Köchin in einem dortigen Konsulat – ein Arbeitsplatz, der im Roman eine zentrale Rolle spielt.

Eine kurze, aber prägende Begegnung der Familie mit Mustafa Kemal Atatürk, die tatsächlich stattgefunden hat, ist ebenfalls Teil der Geschichte. Diese Episode beeinflusste maßgeblich den weiteren Lebensweg der damals etwa fünfzehnjährigen jungen Frau und wird im zweiten Band ausführlich erzählt, der noch nicht veröffentlicht ist.

Natürlich weiß ich, dass Saloniki bis heute ein umstrittener Ort ist – insbesondere unter den heutigen Anhängern und Gegnern Atatürks. Für mich jedoch ist die Stadt in erster Linie ein historischer Schauplatz, eine Kulisse jener bewegten Jahre vor dem Untergang des Osmanischen Reiches.

Es handelt sich um einen historischen Roman, nicht um ein politisches Manifest. Mein zentrales Anliegen ist es, darzustellen, was osmanische Muslime – insbesondere in der Provinz Saloniki – in dieser Zeit durchleben mussten.

In meinem Roman spiegeln sich sowohl Befürworter als auch Kritiker der damaligen politischen Entwicklungen wider – so, wie es sie damals tatsächlich gab.

Mir ist wichtig zu betonen: Es handelt sich um einen historischen Roman, nicht um ein politisches Manifest. Mein zentrales Anliegen ist es, darzustellen, was osmanische Muslime – insbesondere in der Provinz Saloniki – in dieser Zeit durchleben mussten.

Die Geschichte beginnt 1908 mit der Jungtürken-Revolution, endet 1922 mit dem Übergang Salonikis an Griechenland und zeigt, wie sich das Leben für jene veränderte, die nicht rechtzeitig nach Anatolien fliehen konnten. Sie lebten fortan unter griechischer Herrschaft, mussten arbeiten, Aufenthaltspapiere beantragen – und wurden oft ausgegrenzt.

Der Hass, der später auch unter Landsleuten entstand, ist das Ergebnis tiefer historischer Wunden, der sich in politischen Äußerungen und Handlungen manifestiert. Solche Zusammenhänge lassen sich jedoch nicht über einfache Posts oder kurze Videos in sozialen Medien erklären.

Selbst viele türkische Journalisten liefern dazu keine verlässlichen Darstellungen – meine Quellen hingegen sind sorgfältig recherchiert und im Anhang des Buches dokumentiert.

Leider gelten in Teilen der türkischen Gesellschaft, auch in Deutschland, Menschen mit Wurzeln in Saloniki noch immer pauschal als „Verräter“, sobald es um politische Themen geht. Warum das so ist, würde den Rahmen hier sprengen. Im Roman thematisiere ich diesen Konflikt exemplarisch in Streitgesprächen zweier Männer – der eine ein überzeugter Osmane, der andere ein glühender Atatürk-Anhänger.

Mit meinem Buch möchte ich auch zeigen, wie gefährlich Pauschalurteile sind. Herkunft allein sagt nichts über Loyalität oder Überzeugung aus. Entscheidend sind Erziehung, Umfeld – und vor allem der Charakter eines Menschen.

 


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