Khartum – Im Sudan herrscht nach einem Jahr Krieg eine der schwersten humanitären Krisen weltweit.
Über zehn Millionen Kinder im Sudan leben in einem aktiven Kriegsgebiet. Dies ergibt eine neue Analyse, die anlässlich des Jahrestages des Sudan-Kriegs (15. April) von Save the Children beauftragt wurde. Demnach ist jedes zweite Kind – und damit 60 Prozent mehr Kinder als noch vor einem Jahr – nicht mehr als fünf Kilometer von den Frontlinien des Konflikts entfernt und erlebt Luftangriffe, Beschuss und Gewalt.
„Der Krieg hat an Ausmaß und Brutalität zugenommen. Die Kinder im Sudan erfahren unvorstellbares Leid. Sie wurden Zeugen von Tötungen, Massakern und Zerstörung, während sie mit der Angst leben, dass sie selbst getötet, verletzt, zum Kampf rekrutiert oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt werden könnten“, sagt Dr. Arif Noor, Länderdirektor von Save the Children im Sudan. „Kein Kind sollte erfahren müssen, was Kinder derzeit im Sudan durchleben.“
Obwohl der UN-Sicherheitsrat vor kurzem zu einem Waffenstillstand aufrief, nehmen die Kämpfe kein Ende. Millionen von Kindern geraten dabei ins Kreuzfeuer. Rund 3,8 Millionen Kinder sind bereits mangelernährt und weitere Tausende sind durch Krankheiten bedroht, da das Gesundheitssystem praktisch zusammengebrochen ist. Kein einziges Kind konnte im vergangenen Jahr zur Schule gehen.
Die meisten Angriffe ereigneten sich laut den Zahlen des Armed Conflict Event and Location Data Project (ACLED) in den dichter besiedelten Gebieten des Landes, darunter in Städten mit mehr als 100.000 Einwohner*innen. Seit der Eskalation der Kämpfe wurden mehr als 15.200 Menschen getötet und Tausende weitere verletzt. Die Intensität des Konflikts hat zur Vertreibung von vier Millionen Kindern geführt – die höchste Zahl weltweit.
Gleichzeitig fehlt es bei weitem an ausreichenden Mitteln, um den Menschen zu helfen. Bisher ist der UN-Finanzierungsaufruf über 2,5 Milliarden Euro für den Sudan nur zu 5,8 Prozent gedeckt. Am 15. April findet hierzu eine internationale Geberkonferenz statt.
„Die Staats- und Regierungschefs, die nächste Woche in Paris zusammentreffen, müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, um Lösungen zur Beendigung der Kämpfe zu finden. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit den Konfliktparteien wichtig, um sicherzustellen, dass sie ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen nachkommen“, fordert Dr. Arif Noor.
„Zudem müssen sie die Mittel für humanitäre Hilfe aufstocken. Der Konflikt im Sudan ist auch ein Krieg gegen Kinder. Dies ist die Gelegenheit, ihnen eine Überlebenschance zu geben.“
Der Sudan wird seit Jahren von Konflikten heimgesucht, aber die menschlichen Kosten sind besonders für die Kinder verheerend. Millionen von ihnen sind vertrieben und sehen sich Gewalt, Hunger und einer gestohlenen Zukunft gegenüber.
Vertrieben und verwundbar:
Der derzeitige Konflikt hat den traurigen Titel, die meisten Kinder weltweit vertrieben zu haben. Millionen Kinder sind Binnenvertriebene oder Flüchtlinge, die aus ihren Häusern und Gemeinschaften gerissen wurden. Diese Vertreibung setzt sie harten Bedingungen aus und macht sie anfällig für Krankheiten, Unterernährung und Gewalt.
Konflikt im Sudan
Vor einem Jahr begann im Sudan ein Krieg, der schnell zu einem der grausamsten weltweit eskalierte.
Nachdem die schwelenden Spannungen zwischen der arabischstämmigen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF) und den sudanesischen Streitkräften in offene Kämpfe ausarteten, stürzte das Land am 15. April ins Chaos.
Der RSF werfen Menschenrechtsorganisationen schwerste Kriegsverbrechen vor, darunter Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder.
Human Rights Watch (HRW) erklärte im August vergangenen Jahres, die RSF-Gruppe habe es offenbar auf nicht-arabische Frauen und Mädchen in der westlichen Darfur-Region sowie auf Aktivisten abgesehen, die Menschenrechtsverletzungen während des Konflikts dokumentieren.
„Die Rapid Support Forces und verbündete Milizen scheinen für eine erstaunliche Anzahl von Vergewaltigungen und anderen Kriegsverbrechen während ihres Angriffs auf El Geneina verantwortlich zu sein“, sagte der Direktor für Krisen und Konflikte von HRW, Belkis Wille, in einer Erklärung.
Auch das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen hat im Februar dieses Jahres einen Bericht zu den Verbrechen veröffentlicht. Frauen, darunter auch Kinder, seien während des anhaltenden Konflikts im Sudan Opfer von Vergewaltigungen und anderen Formen sexueller Gewalt geworden.
Eine Frau wurde nach Angaben der UNO „in einem Gebäude festgehalten und 35 Tage lang wiederholt von Gruppen vergewaltigt“.
Der Bericht stützt sich auf Interviews mit mehr als 300 Opfern und Zeugen, die zum Teil in Äthiopien und im Tschad, den Nachbarländern, in die viele Sudanesen geflohen sind, geführt wurden, sowie auf die Analyse von Fotos, Videos und Satellitenbildern, die in den Konfliktgebieten aufgenommen wurden.
„Seit fast einem Jahr wird aus dem Sudan über Tod, Leid und Verzweiflung berichtet, denn der sinnlose Konflikt und die Menschenrechtsverletzungen dauern an, ohne dass ein Ende in Sicht ist“, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk.
„Dieser Bericht macht die Tragödie, die dem sudanesischen Volk seit April 2023 unnötigerweise zugefügt wird, noch schmerzhafter, unterstreicht aber auch einmal mehr die dringende Notwendigkeit, die Kämpfe zu beenden und den Kreislauf der Straflosigkeit zu durchbrechen, der diesen Konflikt überhaupt erst ausgelöst hat. Die Waffen müssen zum Schweigen gebracht und die Zivilbevölkerung muss geschützt werden. Eine glaubwürdige Wiederaufnahme umfassender Gespräche zur Wiederherstellung einer von Zivilisten geführten Regierung ist dringend erforderlich, um einen Weg nach vorne zu eröffnen“, sagte er.