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TikTok-Syndrom: Tourette-ähnliche Tics bei Usern

Verursacht TikTok bei Menschen Symptome des Tourette-Syndroms? Ärzte sind überrascht, dass junge Erwachsene Tics und Anfälle entwickeln, die normalerweise in der Kindheit beginnen.

(Foto: Screenshot/Pixabay)
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London – Verursacht TikTok bei Menschen Symptome des Tourette-Syndroms?  Ärzte sind überrascht, dass junge Erwachsene Tics und Anfälle entwickeln, die normalerweise in der Kindheit beginnen.

In letzter Zeit haben Tourette-ähnliche Symptome unter Jugendlichen stark zugenommen und die Social-Media-App TikTok könnte dafür verantwortlich sein.

Laut Ärzten in medizinischen Zeitschriften registrieren auf das Tourette-Syndrom spezialisierte Kliniken in der ganzen Welt eine deutliche Zunahme an jungen Patienten mit komplexen motorischen oder vokalen Tics. Die Zahl der neuen Patienten habe sich innerhalb von kürzester Zeit teilweise verzehnfacht, Vor allem seien junge Mädchen im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren betroffen.

Kirsten Müller-Vahl, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie an der Medizinischen Hochschule Hannover. hat sich damit beschäftigt. Auch sie habe plötzlich viele Patienten mit der Verdachtsdiagnose Tourettesyndrom gehabt, so Müller-Vahl gegenüber Deutschlandfunkkultur. (DLF)

Die Symptome seien bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen „abrupt“ aufgetreten. Ihre Patienten hätten „sehr komplexe Bewegungen, häufig mit ausfallenden Armbewegungen“ gezeigt und Schimpfwörter und Beleidigungen gerufen.

„Wir haben Gruppen von Teenagern aus derselben Schule gesehen, die fast identische Tics entwickelten“, sagt Dr. Tammy Hedderly, Kinderneurologin am Guy’s and St Thomas‘ NHS Trust. Stern hat ebenfalls von Ausbrüchen in britischen Schulen gehört.

„Sie schreien ‚Baked Beans!‘ oder schlagen ihren Eltern auf den Kopf“, so Hedderly. „Wenn ein 15-jähriges Mädchen in meine Klinik kommt und ‚Baked Beans!‘ schreit, lautet meine erste Frage: ‚Hast du diesen Influencer gesehen? Denn ich kenne alle Namen der Influencer. Es ist also wichtig zu erkennen, dass die sozialen Medien eine Rolle spielen und das Ausmaß des Problems groß ist, und zwar in ganz Großbritannien.“

Viele junge Mädchen hätten sich scheinbar beim Ansehen von Tourette-Content im Internet „infiziert“ und selbst Tics entwickelt. „Es war von Beginn an klar, dass es kein Tourette ist“, so Müller-Vahl. Es handle sich vielmehr um eine „funktionelle Störung“ – damit umschreiben Ärzte körperliche Beschwerden, deren Ursache auch nach intensiver medizinischer Diagnostik nicht zu ermitteln ist.

Offenbar litten viele der Patienten nicht unter individuellen Tics, sondern hätten exakt jene Symptome entwickelt, die sie zuvor bei anderen Betroffenen im Internet gesehen hätten, berichtet der WDR mit Hinweis auf eine Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Movement Disorders“.

Auch die Neurologin Dr. Caroline Olvera aus den USA beobachtet einen Anstieg unter jungen Menschen, vor allem Mädchen, mit plötzlich auftretenden Tics. Sie verfasste eine Forschungsarbeit, die auf ihrer Untersuchung von mehr als 3 000 Videos von TikTok-Tourette-Influencern basiert, und stellte fest: „Obwohl sich unsere Studiengruppe über verschiedene Länder erstreckte, gaben 67,9 Prozent der Gruppe an, dass ihre TikTok-Tics von anderen Inhaltserstellern stammten, und die Mehrheit hatte denselben vokalen Tic.“

Psychotherapeuten raten zur schnellen Behandlung

Die Bundespsychotherapeutenkammer rät, möglichst bald einen Facharzt aufzusuchen, falls Eltern bemerken, dass ihre Kinder plötzlich chronische Tics entwickeln. Gesetzlich Krankenversicherte könnten sich auch ohne eine Überweisung durch den Haus- oder Kinderarzt direkt an einen Psychotherapeuten wenden.

Jugendliche könnten sich auch ohne Wissen der Eltern an einen Arzt eigener Wahl wenden. In der Regel können gesetzlich versicherte Jugendliche ab 15 Jahren eine Psychotherapie selbstständig bei der Krankenkasse beantragen. Bei Privatversicherten müssen die Eltern die Kostenübernahme bei der Versicherung veranlassen, berichtet der WDR mit Bezugnahme auf die Bundespsychotherapeutenkammer.