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Minirock statt Burka – die goldene Ära Afghanistans?

Dieser Titel in Kombination mit einem Bild von afghanischen Frauen in kurzen Röcken aus den 60er-Jahren, schmücken immer wieder Beiträge von westlichen Medien, wenn sie für Afghanistan trauern. Diese Trauermomente in Bezug auf Frauen aus mehrheitlich muslimischen Ländern, ist in vielerlei Hinsicht entlarvend für eine verzerrte europäische Wahrnehmung der Geschehnisse.

(Symbolfoto: pixaba)
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Ein Gastkommentar von Hakan Gördü

Dieser Titel in Kombination mit einem Bild von afghanischen Frauen in kurzen Röcken aus den 60er-Jahren, schmücken immer wieder Beiträge von westlichen Medien, wenn sie für Afghanistan trauern. Diese Trauermomente in Bezug auf Frauen aus mehrheitlich muslimischen Ländern, ist in vielerlei Hinsicht entlarvend für eine verzerrte europäische Wahrnehmung der Geschehnisse.

An diesem Punkt möchte ich meine Unterstützung für das afghanische Volk gegen die Diktatur der Taliban aussprechen. Besonders Frauen leiden unter der erzwungenen Burka, einem Stoffgefängnis, das die afghanische Frau vollständig aus der Gesellschaft verbannen soll. Meine Bewunderung, für die Afghaninnen, die trotz drakonischen Strafen den Mut aufbringen, um gegen diese Unterdrückung aufzustehen.

(Screenshot/NZZ/Welt)

Der Minirock, das Gegenteil von Burka?

Nein, außer wir möchten das Thema an der Quantität des getragenen Stoffes festmachen. Viel Stoff schlecht, wenig Stoff gut – so einfach ist es dann allerdings wohl doch nicht.

Wer hat es erfunden?

Das oft zitierte Bild mit den afghanischen Frauen, zeigt einen deutlich erkennbaren westlichen Kleidungsstil. Möglich macht es ein umstrittener Monarch namens Zahir Schah, der Afghanistan über 40 Jahre regierte. Er sah sich als den „Schatten Gottes auf Erden“ und so verhielt sich auch sein Umgang mit Oppositionellen und Medien. Er reihte sich in ein reformierendes autokratisches Herrschergespann mit Atatürk in der Türkei und Reza Schach im Iran ein. Sie alle sind sich einig, die westliche Kleidung steht für Modernisierung und die „traditionell islamische Kluft“ ist der Gegner.

Unsere Aufklärung, ihre Aufklärung?

Durch den Kulturexport unserer „westlichen Werte“, schufen wir uns im kapitalistischen Sinne lediglich neue Abnehmer für unseren kommerzialisierten Lebensstil. Ob Kleidung & Mode, Waffen, Bildung, Kultur, Musik, Autos oder unsere Weltanschauung – wir waren das Erfolgsmodell, dass nun kopiert werden musste. Alles schlüsselfertig verpackt! Jahrhundertelang andauernde Diskurse und all die Kriege, von Scholastik zur Reformation, von Philosophie bis zur Überwindung der Sklaverei, dem Kolonialismus, Faschismus und Nationalsozialismus, das alles konnte man sich ersparen, man musste einfach auf den Zug aufspringen.

Wir befreien euch, ob ihr wollt oder nicht!

Reza Schah, Zahirs Pendent im Iran ging soweit, dass er eine Universität für Pariser Mode erbauen ließ und schließlich am 29. Mai 1936 das Kopftuch verbieten lässt. In der Türkei und später im Iran werden westliche Hüte statt dem traditionellem Fes per Gesetz als Nationaltracht angeordnet und Menschen, die sich in der damaligen Türkei widersetzten, wurden durch „Unabhängigkeitsgerichte“ zum Tode verurteilt. Diese Geisteshaltung wenn auch in abgeschwächter Form, zog sich bis 2010, denn so lange dauerte es, bis das grundrechtswidrige Kopftuchverbot an Universitäten offiziell gekippt werden konnte.

Auf der einen Seite haben wir also fortschrittliche Reformen, die das Wahlrecht und die Emanzipation der Frauen in der Gesellschaft ermöglichen. Auf der anderen Seite wiederum eine Zwangsassimilierung der eigenen Bevölkerung unter drakonischen Strafen bis hin zum Galgen. Wohlgemerkt im Namen einer rigorosen Europäisierung der muslimisch geprägten Länder. Diese jakobinisch aufgezwungene Art der Zwangsmodernisierung gegen die Mehrheitsbevölkerung legt bis heute in diesen Ländern, die zentrale Basis für nachfolgende reaktionäre Bewegungen. Viele dieser konservativ bis extremistisch geprägten Kräfte, bilden nun die Regierungen in diesen Ländern. Ob eine klerikale Mullahregierung in Teheran oder seit letzter Woche zum zweiten Mal die Taliban in Afghanistan.

Selbst in der Türkei, waren die sinnlosen Kopftuchverbote und die damit verbundenen Repressionen gegen Hijabis in den 90er-Jahren ein Grund für den Aufstieg der konservativen Refah-Partei, die ja bekanntlich in der Alleinregierung der AKP mündete. Darüber freut sich Europa noch heute bekanntlich jeden Tag. Eine erzwungene Assimilation kultureller oder religiöser Werte ist ein Verbrechen gegen die Menschheit und keine goldene Ära für das betroffene Volk. Eine künstlich erzwungene Liberalität schafft hausgemachte Gegenreaktionen und das ausnahmslos.

Von Werten und anderen Oberflächlichkeiten!

Aufklärer waren eine Handvoll Philosophen in Europa. Sie boten mit ihren Theorien und Erkenntnissen ein Fundament für eine heranwachsende Gesellschaft. Sie zahlten oft einen hohen Sold für ihre Ideen und Ideale. Politiker hingegen zitieren gerne ebenfalls „unsere Werte“ meinen jedoch etwas ganz anderes. Allzu oft verstehen sie, je nach politischer Gesinnung – einen bestimmten Lebensstil, eine Leitkultur und andere irrelevante kulturelle Eigenheiten.

Um es besser zu verstehen: Meist sind es Rechtspopulisten, die auf die Aneignung europäischer Werte, vor allem bei Migrationsgruppen unermüdlich pochen. Aber sind es doch sie, die stets mit ihren Gesetzesvorstößen wie zuletzt beim Kopftuchverbot in Schulen, unrechtmäßigen Moscheeschließungen, unverhältnismäßigen Hausdurchsuchungen oder Abschiebeorgien mit Charterflügen nach Afghanistan durch österreichische Gerichte zurückgepfiffen werden müssen.

Was sind Werte und Nichtwerte?

Gegebenheiten an der Oberfläche einer Gesellschaft, können zwar auf tieferliegenden Werten fußen, allerdings sind sie selbst nicht der zu vermittelnde Wert, sondern lediglich ein temporäres Produkt dessen.

Beispielsweise ist ein Auto eine technologische Errungenschaft, allerdings ist der dem zu Grunde liegende Wert, der technologische Fortschritt und nicht das Auto selbst. Der Export von Automobilen in die „Dritte Welt“, macht die Bevölkerung vor Ort zwar zu den Käufern unserer Werte, allerdings nicht zu deren Besitzern. Hierbei handelt es sich um das gewinnschöpfende Konzept des Postkolonialismus, der es nicht mehr für nötig hielt, Kolonien vor Ort zu stationieren und Ressourcen mühsam abzuschöpfen. Stattdessen machten wir die Länder der Welt zu unseren Kunden, zahlen durften sie mit Bodenschätzen oder geopolitischen Gefälligkeiten. Wir wurden unseren Müll los und sie ihre Reichtümer.

So war auch der Minirock anfangs ein europäischer Weg, um gegen die Bevormundung von Frauen zu demonstrieren und Selbstbestimmung entgegen gesellschaftlicher Normen zu leben. Denn Frauen richteten sich sinngemäß gegen die Herrschaftsklasse der Männer.
Die mutigen Frauen Europas erkämpften sich keinen Minirock, sondern die Selbstbestimmung das Tragen zu können was sie wollten. In der Türkei, in Afghanistan oder im Iran hingegen war es andersherum. Die Herrschaftsklasse diktierte die westliche Bekleidungsnormen ihrer Bevölkerung. Somit wurde das Symbol gegen das Patriarchat, wie im Falle des Minirocks, selbst zu einem Symbol der patriarchalen Fremdbestimmung. Erneut verkaufte man ein fertiges Produkt an die konsumierenden Massen eines fernen Landes. Die dem zu Grunde liegenden Diskurse, Errungenschaften und Erkenntnisse blieben im Ursprungsland verhaftet.

Ali Seriati, ein iranischer Revolutionär und Religionssoziologe vergleicht dies mit einem geliehenen Garten. Die Saat aus einer fernen Region, einem anderen Klima und Erde keimen nicht in diesen Ländern. Viel zu unterschiedlich sind der Lebensraum und die Gegebenheiten. So erkauft man sich fertige Gärten, mit Stamm und Früchten und setzt sie einem direkt vor die Nase. Ein himmlischer Anblick und ein kurzzeitiges Erfolgsgefühl machen sich breit, bis man nach einiger Zeit merkt, dass auch diese Pflanzen verwelken. Durch eine fortlaufende Abschöpfung eigener Ressourcen erhält man die fremde Oase künstlich am Leben. Sobald die Mittel zu Ende gehen bzw. die Mächte ihren Abzug verkünden, findet man sich in der alten Wüste wieder, die man ursprünglich vorgefunden hatte.

Was über bleibt sind nostalgische Blicke auf Fotos aus der Vergangenheit, auf geliehene Autos, Zigarren, Waffen und Miniröcke.

 


Gastbeiträge geben die Meinung der Autoren wieder und stellen nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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