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Nach Ruanda-Völkermord: Immer mehr Menschen wenden sich dem Islam zu

Als 1994 in Ruanda die Gewalt gegen die Tutsi ausbrach, schien niemand mehr sicher zu sein. Doch eine kleine religiöse Minderheit weigerte sich, daran teilzunehmen: Die ruandischen Muslime. Sie leisteten friedlichen Widerstand gegen die Gräueltaten und retteten dabei viele unschuldige Menschenleben.

(Beispielfoto: Ruanda Muslim Community RMC)
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Kigali – Als 1994 in Ruanda die Gewalt gegen die Tutsi ausbrach, schien niemand mehr sicher zu sein. Doch eine kleine religiöse Minderheit weigerte sich, daran teilzunehmen: Die ruandischen Muslime. Sie leisteten friedlichen Widerstand gegen die Gräueltaten und retteten dabei viele unschuldige Menschenleben.

In diesem Monat vor 27 Jahren begann in Ruanda eines der größten Massaker nach dem Zweiten Weltkrieg. In einer Zeitspanne von nicht mal 100 Tagen töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa drei Viertel der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit sowie moderate Hutu, die sich am Völkermord nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten.

Der Katholizismus ist seit mehr als einem Jahrhundert der dominierende Glaube in Ruanda. Aber viele Menschen, angewidert von der Rolle, die einige Priester und Nonnen in der Tötungsorgie gespielt haben, wandten sich dem Islam zu. Jetzt habe sich die muslimische Bevölkerung mehr als verdoppelt.

Viele Konvertiten haben erklärt, dass sie den Islam wegen der Rolle gewählt haben, die einige katholische und protestantische Führer beim Völkermord gespielt haben. Verschiedene Menschenrechtsgruppen haben mehrere Vorfälle dokumentiert, in denen christliche Geistliche Tutsis erlaubten, in Kirchen Zuflucht zu suchen und sie dann den Hutu-Todesschwadronen auslieferten, sowie Fälle, in denen Hutu-Priester und Geistliche ihre Gemeinden ermutigten, Tutsis zu töten.

„Menschen starben in meiner alten Kirche, und der Pastor half den Mördern“, sagte Yakobo Djuma Nzeyimana in einem Gespräch mit der US-Zeitung New York Times, der bereits 1996 Muslim wurde. Ich konnte nicht zurückgehen und dort beten. Ich musste etwas anderes finden.“

Alex Rutiririza, ein weiterer Konvertit: „Die Muslime haben sich ’94 gut geschlagen, und ich wollte so sein wie sie“. Der sicherste Ort während der Massaker damals sei in einer muslimischen Nachbarschaft gewesen, Rutiririza weiter. „Denn überall wurde gemordet. Damals wie heute lebten viele der Muslime Ruandas dicht gedrängt im Biryogo-Viertel von Kigali.“

„Ich weiß, dass die Leute in Amerika denken, Muslime seien Terroristen, aber für Ruander sind sie unsere Freiheitskämpfer während des Völkermords“, sagt Jean Pierre Sagatuhu, ein Tutsi, der vom Christentum zum Islam konvertierte, nachdem sein Vater und neun weitere Mitglieder seiner Familie abgeschlachtet worden waren. „Ich wollte mich in einer Kirche verstecken, aber das war der schlechteste Ort, an den man gehen konnte. Stattdessen nahm mich eine muslimische Familie auf und rettete mir das Leben.“

„Vor dem Völkermord war ich katholischer Pastor“, erklärte Matabaro Sulaiman zu TRT World.

Als 1994 der Völkermord in Ruanda begann, habe der 49-Jährige eine Glaubenskrise erlitten, als er sah, wie die Kirchen, in denen er Frieden und Einheit predigte, zu Schlachthäusern wurden.

„Christen töteten Menschen in der Kirche“, so Sulaiman.

„Die [Opfer] gingen in die Kirchen, weil sie dachten, sie würden dort Frieden finden, aber stattdessen wurden sie getötet. Währenddessen sah ich, wie Muslime Menschen in die Moschee brachten und sie retteten“.

Mehr als 2.000 Menschen, die Schutz suchten, wurden getötet, nachdem etwa Pastor Wenceslas Munyeshyaka mit den Angreifern kollaborierte, anstatt die Notleidenden zu schützen. Die Nyamata-Kirche, die sich in den Außenbezirken im Süden Kigalis befindet, wurde zum Massengrab für fast 50.000 Menschen, die sich in Sicherheit wähnten. Die Kleidung der Opfer stapelt sich noch immer auf den Kirchenbänken im Inneren der Kirche.

Lehren des Koran

Muslimische Gelehrte und religiöse Führer erkannten schnell die drohende Gefahr und sensibilisierten die Gläubigen in ihren Gemeinden. Mit eigenen Unterrichtsprogrammen wiesen die Lehrer ihre Schüler an, sich nicht von der Gewaltpropaganda einfangen zu lassen.

Unter Berufung auf den Koran lehrten sie, dass ethnische Zugehörigkeit nicht spalten sollte, sondern dass alle Menschen gleich sind und niemand das Recht hat einen anderen Menschen zu töten. In Gebetsgottesdiensten, Flugblättern und über andere Medien erinnerten die Kleriker ihre Anhänger daran, dass es die Pflicht jedes einzelnen Muslims sei, allen Opfern zu helfen und nicht zuzulassen, dass ihre Ansichten polarisiert werden, und deshalb auch nicht in politische Parteien einzutreten.

In einem Brief, der an alle Moscheen des Landes geschickt wurde, riefen die religiösen Führer ihre Anhänger auf, jede Ideologie abzulehnen, die nicht mit dem Koran übereinstimmt. In einer Radioansprache warnten sie die ganze Nation, dass harte Zeiten bevorstünden und riefen die Menschen auf, friedliche Werte zu wahren.

Sie begründeten ihre Ablehnung der Hasspropaganda mit Werten, die direkt aus dem Koran abgeleitet sind. Ihre Kernbotschaft: Diese Werte stehen im krassen Gegensatz zur Ideologie der Hutu-Milizen, die das Töten als Sünde gegen Gott betrachten und stattdessen zur Gewaltlosigkeit, zum Schutz der Schwachen und zur Hilfe für die Bedürftigen aufrufen, unabhängig von der ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit.

Gegen Hass und Gewalt

Ermutigt durch die konsequente Haltung ihrer religiösen Führer positionierten sich auch die muslimischen Gemeinschaften gegen Hass und Gewalt. Neben der Weigerung muslimischer Hutus, sich an den Morden zu beteiligen oder Gewalt mit eigener Gewalt zu begegnen, leisteten viele auch aktiven, aber stets friedlichen Widerstand: Die Verfolgten fanden in ihren Häusern und Moscheen Schutz, ohne Angst vor Verrat. Muslime versteckten Tutsis innerhalb ihrer Gemeinden, versorgten sie mit Lebensmitteln und stellten sich sogar physisch zwischen die Mörderbanden und ihre Opfer, was sie manchmal das Leben kostete.

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