Die „Initiativplattform der türkischen Vereine und Verbände in Köln und Umgebung“ haben sich mit einer Presseerklärung zur Verbotsprüfung türkischer Verbände zu Wort gemeldet. Gleichzeitig wird die Erklärung an alle im Bundestag vertretenen Fraktionen gesandt.
Der Text im Wortlaut:
Zivilgesellschaftliche und rechtstaatliche Aufklärung statt Verbote
Die menschenverachtenden Terrorakte und tödlichen Angriffe in Paris, Dresden, Nizza und Wien werden dafür instrumentalisiert, Musliminnen und Muslime sowie ihre Vereine und Verbände, die seit mehr als einem halben Jahrhundert diesem Land und den Menschen aus ihren Heimatländern zivilgesellschaftlich gedient haben, in Mithaftung zu ziehen.
Die Angriffe von Terroristen jeglicher Couleur versuchen ein Klima der Angst zu schaffen, die nicht nur gegen die freiheitlich demokratischen Grundwerte gerichtet sind. Zudem wird dadurch die bereits etablierte Vielfalt an verschiedenen Lebenswelten in Bezug auf unterschiedliche Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit in Vereinen und Verbänden in unserem Land beschädigt. Denn durch ihre abscheulichen Taten spalten sie unsere Gesellschaft. Diese Leute betrachten die Vielfalt als Gefahr. Sie werden durch Hass und Hetze geleitet.
Die rassistischen und extremistischen Gruppierungen und Gesinnungen sowie die schwierigen Pandemiezustände in unserem Land treiben die Regierungen vor sich her, politische Entscheidungen zu treffen, die nicht auf einer zivilgesellschaftlichen und parlamentarischen Demokratie basieren. Diese Symbolpolitik schränkt die bisherigen Verdienste unserer demokratischen Verfassung wie Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit immer weiter ein. Überdies werden dadurch Fakten geschaffen, die einem friedlichen Zusammenleben in unserer Gesellschaft wenig dienen. Diese Entwicklungen kommen uns bekannt vor.
Diese ausgrenzende Politik nutzt die Pandemiezustände und die Maßnahmen gegen Corona aus, um türkischstämmige Vereine und Einrichtungen zu diskreditieren. Dass dabei auch Gewalt, bis hin zu Brandstiftung und Übergriffen auf Moscheen, angewendet wird, hat bislang zu keinen größeren Entrüstungen oder gar Maßnahmen geführt. Wir nehmen wahr, dass gerade zu diesem Zeitpunkt Verbote von Vereinen und Verbänden auf die Agenda gesetzt werden und fragen uns, ob die aktuell angespannte Situation instrumentalisiert wird. Dadurch werden bewusst Moscheen, Muslime und türkeistämmige Menschen an den Pranger gestellt und kriminalisiert.
Nun wäre man fast verführt, Goethes Faust zu zitieren:
/ Nun kenn ich deine würdigen Pflichten/ du kannst im großen nichts vernichten/ und fängst es nun im kleinen an. /
Im Kampf gegen Terrorismus sind wir auf der Seite des Staates. Aber es darf nicht dazu führen, dass im Zuge dessen pauschale und diffamierende Verbote diskutiert und die Öffentlichkeit damit geblendet wird. Das hehre Ziel, Terrorismus, der uns alle gleichermaßen trifft, zu verhindern, darf nicht zu einen unverhältnismäßigen Rundumschlag gegen Muslime, ihre Gotteshäuser und Organisationen führen.
Auch der neu gesetzte Begriff ist Ausdruck eben dieses Rundumschlag: Dies ist ein kalkulierter, unlauterer Versuch, bestimmten Menschen und Gruppen demokratische Rechte zu versagen und als Feinde zu markieren. Den angeblichen Schutz der Demokratie als Argument zu nutzen, um rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien für Minderheiten in Frage zu stellen, ist das Paradigma, das sich hier offenbart. Die Vereine, die von türkischen Menschen nach dem BGB gegründet worden sind, tragen weiterhin die Verantwortung für die freiheitliche demokratische Grundordnung und für den Frieden in unserem Land Deutschland.
Wir bedauern sehr und sind besorgt darüber, dass man jetzt im Deutschen Bundestag Debatten über Vereinigungsverbote debattiert. Wir betrachten diese rufschädigende Kampagne gegenüber deutsch-türkischen Kultur- und Moscheevereinen als politisiert. Wir fordern, dass diese Vereine nicht marginalisiert und kriminalisiert werden, sondern dass sie in die integrations- und gesellschaftspolitischen Prozesse eingebunden werden. Daher halten wir weiterhin nachdrücklich an den offenen, liberalen und demokratischen Strukturen unseres Landes fest und vertrauen auf Recht und Gerechtigkeit.
Die Initiative der Türkischen Vereine und Verbände in Köln fordert die zivilgesellschaftlichen Organisationen und die Politik auf, diese demokratischen Vereine nicht mit rechtsextremen Gruppierungen gleichzusetzen. Für unsere Initiative ist es nicht nachvollziehbar, wie diesen Vereinen und Verbänden eine mutmaßliche Sicherheitsgefährdung attestiert werden kann.
In einer sich schnell wandelnden Zeit, in der die Politik und Gesellschaft heute mehr denn je gefordert ist, gegen allen extremistischen Gruppierungen, Gesinnungen und Parteien wehrhaft zu sein, sollte die Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit mit allen Mitteln verteidigt werden.
Die demokratischen Parteien und deren Abgeordnete können ihre demokratischen Befugnisse bei der Aufklärung der immer noch nicht geklärten NSU Mordserie sowie deren unter Verschluss stehenden oder vernichteten Akten einsetzen.
Ferner ist es nicht zu akzeptieren, dass nach Anschlägen von Extremisten unsere Gottes- und Friedenshäuser unter Generalverdacht gestellt werden. Auch dies trägt zur Spaltung bei.
Angesichts wachsender Islamfeindlichkeit und Moscheeübergriffe erwarten wir als die Initiative der Türkischen Vereine und Verbänden in Köln und Umgebung mit 56 Vereinen von Politik und Administration keinen politischen Aktionismus und keine Symbolpolitik, sondern konkrete, präventive Schritte gegen Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze.
Mit freundlichen Grüßen
Sprecher der Initiative
Rafet Öztürk , Levent Taşkıran , Nergiz Bölükbaşı, Ibrahim Küçükyıldız