Paschinjans Außenpolitik führt zum erneuten Krieg im SüdkaukasusEin Gastbeitrag von Javid Sadikhov – MA in Internationalen Beziehungen und Diplomatie
Seit dem 27. September 2020 sind erneut Gefechte zwischen den zwei südkaukasischen Ländern Armenien und Aserbaidschan ausgebrochen. Man kann diese Gefechte als eine Fortsetzung der armenischen Provokation vom Juli des laufenden Jahres einschätzen.
Diesmal finden jedoch die Kämpfe nicht an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze statt, sondern auf aserbaidschanischem Territorium, was kriegsähnliche Ausmaße annimmt. Es kann daher von einem Krieg innerhalb Aserbaidschans gesprochen werden, bei dem Armenien weiterhin seine Besatzungspolitik fortsetzen möchte.
Zum Hintergrund des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan
Im Zuge des Krieges wurden in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts 20 Prozent des aserbaidschanischen Territoriums, u. a. Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen, besetzt. Während dieser Okkupation wurden von den Vereinigten Nationen (VN) noch im Jahr 1993 vier Resolutionen verabschiedet, die zum bedingungslosen Rückzug der armenischen Truppen aus dem aserbaidschanischen Territorium aufgefordert haben.
Am 6. Dezember 1994 wurde auf dem OSZE-Gipfeltreffen in Budapest die sogenannte Minsker Gruppe gegründet, die sogleich damit begann, Bedingungen für eine friedliche Beilegung des Konflikts zu entwickeln. Seit diesem Zeitpunkt wurden die Beschlüsse der VN jedoch missachtet bzw. ignoriert, sodass es insgesamt so scheint, als würden die Verhandlungen der OSZE nur einen Empfehlungscharakter besitzen.
Obwohl während der Administration von Lewon Ter-Petrosjan bei den Verhandlungen fast ein Durchbruch erreicht werden konnte, trat dieser am 3. Februar 1998 von seinem Amt zurück, weil gegen ihn unter der Leitung des damaligen Ministerpräsidenten, Robert Kotscharjan, eine Verschwörung organisiert wurde. Ter-Petrosjan schlug die Befreiung einiger aserbaidschanischer Gebiete vor, um die wirtschaftliche Lage zu verbessern.
Nun wurde der armenische Bergkarabach-Clan wieder aktiviert, indem erneut Schlüsselfiguren in die Konfliktzone eingereist sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Kämpfe deutliche Auswirkungen auf die innenpolitische Situation in Armenien haben werden.
Paschinjans Haltung führt zum Krieg im Kaukasus
Von 1997 bis 2016 war in Armenien ein Clan aus Bergkarabach an der Macht und viele Schlüsselpositionen der armenischen Regierung wurden in diesem Zusammenhang auch von Bergkarabach-Armeniern besetzt.
Nach den Gefechten vom April 2016 kippte die Stimmung in der armenischen Gesellschaft, weil die armenischen Besatzungstruppen einige wichtige Posten an der Frontlinie verloren hatten. Im Jahr 2018 wurde Nikol Paschinjan nach der Machtergreifung Ministerpräsident der Republik Armenien.
Während seiner Amtszeit konnte Baku keine sichtbare Logik in seiner Haltung erkennen, da er sich beispielsweise beim Treffen mit dem aserbaidschanischen Präsidenten komplett anders verhielt, als er vor seiner Bevölkerung in Armenien auftrat. Des Weiteren besuchte er turnusmäßig besetzte aserbaidschanische Gebiete, wobei er Baku dabei wiederum mit bestimmten Äußerungen provozierte.
Die erste starke Provokation kam durch die Formulierung:
„Karabach ist Armenien und Punkt“
Der Ausbau einer Autostrecke von Armenien in die Karabach-Region und die Verkündung, dass das administrative Zentrum des separatistischen Regimes in die für Aserbaidschaner historisch bedeutende Stadt Schuscha verlegt wird, waren die letzten Tröpfchen, die das Maß der aserbaidschanischen Geduld nun zum Überlaufen gebracht haben. Während der militärischen Provokation im Juli 2020 hoffte Paschinjan noch, dass bei diesen Gefechten auch die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (kurz: OVKS), u. a. Russland, in den Konflikt einbezogen wird.
Aserbaidschan konnte sich dennoch – durch eine starke Gegenoffensive und geschickte Diplomatie – von der armenischen Provokation loslösen. Während Baku erneut schlichtende Worte an Jerewan zur friedlichen Lösung des Konfliktes sendete, feierte Paschinjan die Juli-Gefechte als einen bedeutenden Sieg, indem er sogar an unterschiedlichen Zeremonien, sowohl in Armenien, als auch in den besetzten aserbaidschanischen Gebieten, teilnahm. Darüber hinaus bereitete sich Jerewan intensiv auf einen Krieg vor. Aus diesem Grund wurden in den letzten Monaten einige Militärübungen abgehalten.
Innenpolitisch ist Armenien auch nicht stabil
Nach der Corona-Krise hat sich die wirtschaftliche Lage in Armenien drastisch verschlechtert. Die Kaukasusrepublik hat nur zu Georgien und dem Iran offene Grenzen. Wegen des andauernden Konflikts sind die Grenzen zu Aserbaidschan und der Türkei dicht. Armenien ist ein sehr armes Land. Tourismus war ein wichtiger Bereich der Wirtschaft. Des Weiteren ist die Lage in der separatistischen Region Bergkarabach selbst noch schlimmer, da dieses Regime von Jerewan kontrolliert und finanziell gefördert wird.
Die oppositionellen politischen Parteien Armeniens, Blühendes Armenien, Heimat und die nationalistische Partei Daschnakzutjun, kündigten eine gemeinsame Kundgebung in Jerewan für den 8. Oktober 2020 um 18:00 Uhr an, die auf dem Freiheitsplatz in Eriwan stattfinden soll und der Unzufriedenheit der Bevölkerung gewidmet ist. Am 18. September 2020 veranstalteten Aktivisten der oppositionellen „Reformistischen Partei“ eine Protestkundgebung, bei der der Rücktritt des armenischen Premierministers Nikol Paschinjan und der gesamten Regierung gefordert wurde.
Es ist momentan nicht bekannt, ob es am 8. Oktober 2020 eine Demonstration gegen die Regierung geben wird. Sicher ist jedoch, dass die Bevölkerung bereits vor den Gefechten mit Aserbaidschan mit der Politik Paschinjans unzufrieden war. Die letzten Ereignisse an der Frontlinie haben die bereits angekratzte Stimmung in der Bevölkerung wesentlich verschlechtert, wodurch wahrscheinlich ein Umsturz der Regierung Paschinjans begünstigt bzw. beschleunigt wird.
Moskau ist gegenüber Regierung in Armenien skeptisch
Moskau selbst ist gegenüber der Regierung skeptisch, obwohl die Südkaukasusrepublik militärisch und wirtschaftlich von seiner Schutzmacht Russland abhängig ist. Paschinjans Administration verhaftete bereits einige pro-russische Politiker. Nach dem kürzlich verabschiedeten Gesetz über audiovisuelle Medien in Armenien wird das Staatsfernsehen der Republik ab dem 1. Januar 2021 alle ausländischen Kanäle vom Rundfunknetz ausschließen, angeblich um die „Informations- und Sprachsicherheit“ des Landes zu gewährleisten. Davon sind hauptsächlich russische Fernsehsender betroffen.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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