Start Panorama Ausland Türkei Das Attentat – Der Mord an Dr. Necip Hablemitoğlu

Türkei
Das Attentat – Der Mord an Dr. Necip Hablemitoğlu

Ein Gericht ließ 2002 die Anklage gegen die deutschen Stiftungen in der Türkei zu und der Prozess sollte am 26. Dezember 2002 stattfinden. Genau 8 Tage vor Prozessbeginn, am 18. Dezember 2002, wurde Dr. Hablemitoğlu, der einen Bericht zu den Aktivitäten der deutschen Stiftungen verfasst hatte, ermordet.

(Screenshot)
Teilen

Ein Gastbeitrag von Kemal Bölge 

Die Hauptstadt Ankara an einem Wintertag. Es ist der 18. Dezember 2002, leichter Schneefall, Stadtteil Çankaya. Der Dozent Dr. Necip Hablemitoğlu verlässt nach einem seiner Vorlesungen am frühen Abend die Universität von Ankara und fährt mit seinem Auto in den wohlverdienten Feierabend.

Bevor er zuhause ankommt, fährt er noch schnell in den Supermarkt in der Nähe seines Wohnsitzes, um eine Kleinigkeit einzukaufen. Wie die Ermittler später feststellen, kommt Dr. Hablemitoğlu gegen 20 Uhr auf dem Parkplatz des Wohnkomplexes an, stellt dort sein Auto ab, steigt aus und will zu seinem Apartment laufen. Es ist exakt 20:03 Uhr, als ein oder mehrere Täter sich ihm nähern und zwei Schüsse aus einer Pistole oder einer zweiten Schusswaffe auf den Universitätsdozenten abfeuern.

Eine Kugel trifft ihn am Kopf und die zweite Kugel sein linkes Auge, er verstirbt noch am Tatort. Der oder die Täter können im Schutz der Dunkelheit mit einem Auto entkommen. Die Spurensicherung der Polizei fand am Tatort zwei Patronenhülsen. Die eine Patronenhülse stammt aus einer Pistole der US-Marke Luger und die zweite vom türkischen Fabrikat der Marke MKE. Seit dem Mord am Akademiker sind jetzt fast 18 Jahre vergangen und noch immer sind die genauen Umstände und Hintergründe der Tat nicht geklärt. Womit hatte sich Dr. Hablemitoğlu in seinen Forschungen beschäftigt, die ihn zur Zielscheibe eines Auftragsmordes werden ließen?

Schauen wir uns an welches Fach er an der Hochschule lehrte und welche Forschungen er darüber hinaus noch betrieb. Er unterrichtete an der Universität von Ankara (Ankara Üniversitesi) das Fach „Die Prinzipien Atatürks und die Geschichte der türkischen Revolution“ und forschte über die Geschichte der Turkvölker. Ferner beschäftigte er sich mit türkischen Artefakten in Mitteleuropa und auf dem Balkan sowie Feldforschungen über die türkischen Minderheiten und Soldatenfriedhöfe.

Neben seiner akademischen Tätigkeit trat Dr. Hablemitoğlu auch als Kritiker der deutschen Stiftungen in der Türkei auf. Dabei geht es um den Anfang der 2000er Jahre begonnenen Widerstand der Bevölkerung in der westtürkischen Stadt Bergama gegen den Abbau von Gold. Was zunächst wie ein Aufbegehren der örtlichen Bevölkerung gegen den Goldabbau einer kanadischen Firma ausgesehen habe, so Hablemitoğu, sei in Wahrheit eine durch deutsche Stiftungen finanziell unterstützte und koordinierte Aktion.

Er hat darüber ein Buch mit dem Titel „Alman Vakıfları ve Bergama Dosyası“ („Die deutschen Stiftungen und die Akte Bergama“) geschrieben. Doch die eigentliche Frage wäre, was Deutschland davon hätte, wenn deutsche Stiftungen Bürgerinitiativen in Bergama unterstützen, die sich gegen den Goldabbau in ihrer Region gewehrt haben?
Es gibt aber einen interessanten Aspekt, den ich unbedingt erwähnen muss. Die kanadische Firma, die das Gold abbauen sollte, wurde wegen der Proteste immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet.

Dann passiert etwas sehr Außergewöhnliches: Für einen Kaufpreis von 44,5 Millionen US-Dollar erhielt 2003 der damalige Unternehmer Akın Ipek die Lizenz zum Goldabbau in Bergama. Aber wer ist dieser Ipek, der davor eine kleine Druckerei in Ankara besaß und Einladungskarten druckte? Ipek gilt nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft in Ankara als mutmaßlicher Finanzier des terroristischen Gülen-Netzwerks und wird mit Haftbefehlt gesucht. Ipek gelang die Flucht nach Großbritannien, wo er sich nach Ermittlerangaben noch immer aufhält. Nachdem Ipek den Zuschlag zur Ausbeutung des Goldes erhält, verstummen die Proteste der Bürgerinitiativen. Was ist der Grund für das plötzliche Ende des Widerstands?

Jetzt komme ich zu einem weiteren Punkt, auf das Dr. Hablemitoğlu energisch und eindringlich immer wieder hingewiesen hat: Es geht um das Terrornetzwerk von Fetullah Gülen. Es gab damals eine bekannte Fernsehsendung „32. Gün“ („Der 32. Tag“), die 1999 vom Journalisten Mehmet Ali Birand moderiert wurde. In dieser bekannten Sendung trat auch Dr. Hablemitoğlu auf.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

In diesem Film erläutert er präzise wie sich das Gülen-Netzwerk in Staat und Gesellschaft organisieren konnte. Die Warnungen, die er aussprach, wurden zwar erhört, aber konkrete Maßnahmen erfolgten nicht. Einmal davon abgesehen, dass der Moderator während der Sendung noch nicht einmal in der Lage war den Namen von Dr. Hablemitoğlu korrekt auszusprechen, redeten die anderen Gäste von Gülens Propaganda Sender „Samanyolu TV“, Nevval Sevindi und Mahçupyan ständig dazwischen und Frau Sevindi schrie Hablemitoğlu an und bezeichnet diesen als „ehrlos und unverschämt.“

Als 2001 vor einem Gericht in Ankara der Prozess gegen Gülen fortgeführt wurde, hatte der damalige Staatsanwalt Yüksel dem Gericht zusätzliche Beweismittel gegen Gülen vorgelegt. Die Staatsanwaltschaft warf Gülen damals vor Kontakte zum US-amerikanischen Nachrichtendienst CIA zu unterhalten. Als das Gericht den Staatsanwalt nach seinen Quellen fragte, verwies dieser auf den Bericht von Dr. Hablemitoğlu.

Ich fasse den Bericht von ihm in Stichpunkten kurz zusammen:

„Das von den USA vorgesehene Sekten-Modell wird in der Türkei vom Gülen-Netzwerk umgesetzt. Die größte Gefahr für die laizistische Republik geht von dieser Sekte aus und diese wird aus dem Ausland, den USA, unterstützt. Gülen lebt in einem großen Anwesen in Pennsylvania, es stehen ihm rund um die Uhr Ärzte zur Verfügung und für seine Sicherheit ist gesorgt. Er steht in Kontakt zur CIA und dem Gouverneur des Bundesstaates. Die US-Botschaft und die US-Konsulate gewähren Besuchern, die Gülen besuchen wollen, ein 10-jähriges Visum. Die Mitglieder des Gülen-Netzwerks glauben an folgendes: Wie Khomeini eines Tages in den Iran zurückgekehrt ist, so wird auch Gülen ehrenvoll zurückkehren und in Çankaya [dort befindet sich der Amtssitz des Präsidenten] seine Arbeit aufnehmen.“

Einige Journalisten hatten Dr. Hablemitoğlu zu seinem Bericht befragt und wie er denn zu seinen Schlussfolgerungen gekommen sei. Er erklärte dazu: „Die Verbindung zwischen Gülen und der CIA habe ich während meines Forschungsaufenthaltes in den USA herausgefunden. Die meisten meiner Feststellungen sind auch den Nachrichtendiensten der Staaten bekannt.“ Beim Gerichtsprozess gegen Gülen sollte Hablemitoğlu als Zeuge vernommen werden.

Eine weitere Auffälligkeit zu den deutschen Stiftungen und zum Mord an Hablemitoğlu: Ein Gericht ließ 2002 die Anklage gegen die deutschen Stiftungen in der Türkei zu und der Prozess sollte am 26. Dezember 2002 stattfinden. Genau 8 Tage vor Prozessbeginn, am 18. Dezember 2002, wurde Dr. Hablemitoğlu, der einen Bericht zu den Aktivitäten der deutschen Stiftungen verfasst hatte, ermordet.

Noch ein wichtiges Detail zu diesem Gerichtsprozess: Dr. Hablemitoğlu sollte wie beim Prozess gegen Gülen auch beim Prozess gegen die deutschen Stiftungen vor Gericht als Zeuge aussagen. Nach dem Attentat intensivierte die Polizei die Suche nach den Mördern und den möglichen Hintermännern des Anschlags. Das Internationale Zentrum für Terrorismus- und Sicherheitsforschung (UTGAM) geht in seiner Studie davon aus, dass der Mord an Dr. Necip Hablemitoğlu vom terroristischen Gülen-Netzwerk durchgeführt wurde.1 Ich hatte in meinem Artikel vom 10. Januar 2020 (Kommentar zur Verhaftung des deutschen Anwalts der deutschen Botschaft in Ankara) auf die Verwicklung des Gülen-Terrornetzwerks in das Attentat hingewiesen.

In Zusammenarbeit mit der türkischen Polizei, gelang es letztes Jahr (2019) der ukrainischen Polizei in Kiew, den mutmaßlichen Mörder von Dr. Hablemitoğlu festzunehmen. Es handelt sich um den 45-jährigen türkischen Staatsangehörigen N.G.B., der in einem türkischen Restaurant in Kiew von Spezialeinheiten der ukrainischen Polizei überwältigt wurde. Das Justizministerium in Ankara hat seine Auslieferung in die Türkei beantragt. In der Zwischenzeit hat der Verdächtige Asyl in der Ukraine gestellt.
Es soll sich um einen ehemaligen Hauptmann der türkischen Armee handeln, der unehrenhaft aus dem Dienst entlassen wurde.

Damit es zu keinem Gerichtsprozess zum Mord kommt, wurden die Akten zu dem Attentat als auch Gegenstände vom Tatort von Mitgliedern des terroristischen Gülen-Netzwerks bei den Gerichten, den Staatsanwaltschaften und den Sicherheitsbehörden jahrelang systematisch unterschlagen oder unter Verschluss gehalten. Die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara hatte vor dem Putschversuch von 2016 die Ermittlungen wegen des Mordes an Dr. Hablemitoğlu wieder aufgenommen. Wie mehrere Zeugen ausgesagt haben, wurden zwei Personen mit einem gelben PKW am Tag des Attentats in der Straße, wo sich das Haus von Dr. Hablemitoğlu befand, beobachtet. Es bleibt abzuwarten, wann und ob es zur Auslieferung des mutmaßlichen Attentäters aus der Ukraine in die Türkei kommt, damit der Gerichtsprozess weitergeführt werden kann.

Quelle 1. Şahin, Mehmet/Tinas, Murat/Sarı, Buğra/İrdem, İbrahim/Şahin, Yakup/Kıyıcı, Hakan/Öztürk, Müberra (2018), Uluslararası Bir Tehdit Olarak Fetö, Polis Akademisi II. Uluslararası Güvenlik Sempozyumu Raporu, in: Polis Akademisi Yayınaları: 67, Rapor No: 20, S. 39, unter https://www.pa.edu.tr/Upload/editor/files/uluslararasi-tehdit-olarak-feto.pdf


Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.