Ein Gastkommentar von Nabi Yücel
Italien hat weltweit die meisten Toten durch Corona-Pandemie zu beklagen. Die jetzt zur Schau gestellte europäische Solidarität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, welche Enttäuschungen das Land bis dahin erfahren musste.
Internationale Medien zufolge treffen in Italien aus Kuba, China und Russland Dutzende Ärzte ein, um die italienischen Ärzte im Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen. Um die Ausbreitung zu stoppen, laufen zudem Hilfslieferungen an Schutzmasken, Schutzkleidungen oder Beatmungsgeräten an.
Vor Tagen sah das gegenwärtige solidarische Bild etwas anders aus. Frankreich und Deutschland blockierten in der Anfangsphase der italienischen Corona-Krise zunächst den Export von Schutzmasken, was sie auch konkret gegenüber der EU-Kommission zur Aussprache gebracht hatten, um Tage bis Wochen später die Exporte doch noch zu genehmigen.
Die Antwort der EU-Kommission auf die Exportstopps Frankreichs und Deutschlands ließ nicht lange auf sich warten: „Die Mitgliedstaaten sind befugt, den freien Warenverkehr aus schwerwiegenden Gründen zu blockieren, und der Schutz der eigenen öffentlichen Gesundheit ist eine davon, aber die Maßnahmen müssen gerechtfertigt und verhältnismäßig und objektiv begründet sein.“
Tschechien und Polen beschlagnahmten derweil zuerst die Lieferungen an Schutzmasken aus China nach Italien, um sich Tage später zu entschuldigen und einige Chargen der Lieferungen durchwinken oder anderweitig auftreiben zu lassen.
Deutschland oder die Türkei bauten unerklärlich weise bürokratische Hindernisse auf oder verzögerten die Zollabfertigungen, um erst auf Telefonate des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte hin, mit erheblichen Verzug die Abfertigungen doch zu genehmigen.
In Krisenzeiten beweist sich zwar der Charakter, aber diese Krise ist weitaus komplexer, als es scheint. Die Corona-Pandemie war aber ein Gradmesser dafür, wie die Europäische Union selbst mit Krisen unter Mitgliedsstaaten umgeht: oftmals voreilig egoistisch, ignorant und sehr schwerfällig.
Der niederländische Gesundheitsminister Bruno Bruins brachte es dann auch und gerade wegen der Versuche Frankreichs und Deutschlands, die Verbote zu rechtfertigen, auf den Punkt: „Das Exportverbot für diese Waren wird die europäische Solidarität gefährden.“
Der Präsident der italienischen Region Ligurien, Giovanni Toti (Forza Italia) sprach das auch aus, was viele Italiener jetzt über die Europäische Union Denken: „Danke an euch, dass ihr zuerst die Krise bewältigt habt und dass ihr jetzt, wo ihr diesen Kampf gewinnt, nicht zögert, uns die Hand zu reichen. Wenn alles vorbei ist, werden wir uns daran erinnern, wer da war… und wer nicht da war.“
Aber auch außerhalb der Europäischen Union ist die Meinung über die europäische Solidarität wenig bis gar nicht schmeichelhaft. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić erklärte, „es war ein schönes Märchen.“ Das Land auf dem Westbalkan, das seit 2012 offiziell als EU-Beitrittskandidat gilt, fühlt sich vor allem jetzt von den Europäern im Stich gelassen.
Bulgarien, ein EU-Land, das stellvertretend für die Gemeinschaft die EU-Außengrenze sichert, sah sich wie Italien ebenfalls im Stich gelassen. Bisher gelangten seit Anfang März nur 89.950 Einwegschutzanzüge aus der Türkei, 500.000 Handschuhe und 2.000 Einweganzüge aus Russland sowie 300.000 Schutzmasken aus Katar in das Land. Dabei versuchte Bulgarien nur, den kurzfristigen Engpass zu kompensieren, bis inländische Unternehmen die Produktionsabläufe abändern und selbst den Bedarf des Landes an Schutzmasken und Schutzanzügen decken können.
Manche Beobachter in der EU äußern nun angesichts der asolidarischen Haltung manch europäischer Länder die Befürchtung, dass Peking, Moskau oder Ankara jetzt die Chance nutzen könnten, einen Keil in die EU zu treiben. Die Frage würde sich eigentlich erübrigen, wenn die Wertegemeinschaft bei der Eindämmung der Pandemie einander unbürokratisch und schnell geholfen hätte. Den Zusammenhalt in der EU haben aber ausgerechnet jene Länder aufs Spiel gesetzt, die diese Wertegemeinschaft aufgebaut haben und eigentlich repräsentieren.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.