Von Nabi Yücel
Die Ausgrenzung der türkisch-muslimischen Mitbürger im Land gehört mittlerweile zum Alltagsgeschäft der Politik bis in tiefste Kreise. Jüngstes Beispiel: Die Gründung der „Initiative Säkularer Islam“, die zum Start der vierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) mutmaßlich die Trennung von Religion und Politik sicherstellen, ein angeblich totalitäres Religionsverständnis im öffentlichen Raum verhindern will.
Im Kern geht es aber nur darum, Partizipation zu verhindern, eine Teilhabe zu unterbinden, die Deutungshoheit über die Verfassung zu gewinnen.
Begünstigt durch die Medialisierung ist offener Widerspruch gegen diese Entwicklung gegenwärtig kaum noch möglich, ohne dabei in ein bestimmtes Lager abgedrängt zu werden. Die türkisch-muslimische Community gerät mit dem institutionalisierten Rassismus immer mehr in Konflikt und fordert Konsequenzen. Persönlichkeiten aus der türkisch-muslimischen Community fordern die islamischen Verbände mittlerweile offen dazu auf, die DIK zu boykottieren.
Recht haben Sie! Es wird seit Jahren ein klassisches Feindbild des Islams etabliert. Ein mit Pseudofakten, Halbwahrheiten und mutmaßlich Selbsterlebtem geschmückter Islam, der angeblich die Realität widerspiegeln soll. Forciert wird dieses Bild inzwischen auch von der Politik bis in die höchsten Ebenen.
Angeblich habe sich in Deutschland der politische Islam breitgemacht – ein Bild, das vor allem durch Rechtspopulisten gemalt wird. Schützenhilfe leisten hierbei seit Jahren selbsternannte „liberale Muslime“, wie auch immer genannte Gruppen und Initiativen rund um die DIK, darunter die „Kritische Islamkonferenz“.
Neuester Coup: die „Initiative Säkularer Islam„.
In diesen Gruppen und Initiativen werden durch Medien charismatisierte Persönlichkeiten als Führer präsentiert, die angeblich als Gläubige Muslime die Demokratie und Freiheit verteidigen. Als Führer dieser Gruppierungen nehmen sie für sich in Anspruch, Vorbilder der gelebten Demokratie zu sein.
Sie zeigen sich als einzige repräsentative und noch wahrnehmbare Stimme, die über gute oder schlechte Muslime, guten oder schlechten Islamverständnis unterscheiden und diese Demokratie schützen können. Das Feindbild des politischen Islams wird so gestärkt, die sogenannte Mehrheitsgesellschaft geimpft.
Ein Diskurs, der Versuch mit den sogenannten politisch motivierten Muslimen ins Gespräch zu kommen, ein Konsens zu finden, ist dabei nicht beabsichtigt. Die Absicht besteht allein nur darin, diesen Diskurs zu verhindern, den Gegenüber weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Was bietet sich da als Plattform besser an als die DIK unter der Führung einer Ordnungsmacht, dem Staat?
Die Gründung der „Initiative Säkularer Islam“ ist nur die Fortsetzung dieser Entwicklung. Das Ende dieser Entwicklung sieht nicht rosig aus. Für manch einen ist die Entwicklung bereits ein Zeichen institutioneller Rassismus, das zur Abgrenzung Merkmale wie Abstammung, Sprache, Kultur und Religion, Kleidung oder Bräuche populistisch heranzieht und nach Wertigkeit einteilt.
Noch schlimmer: man unterstellt Muslime – ohne dabei konkret zu werden um welche Strömung oder Verband es sich dabei handelt – sogar bewusst, Sonderrechte zu beanspruchen, die es so gar nicht geben kann, weil die Verfassung selbst regelt, welche Rechte und Freiheiten man hat oder ausüben kann. Dazu gehört auch, sich als Körperschaft im Rahmen des Gesetzes zu betätigen.
Die Verfassung legt also selbst fest – worauf sich die Führer dieser Gruppierungen ja selbst berufen – was die Religionsfreiheit bedeutet, welchen Beschränkungen sie unterliegt, was eine religiöse Gemeinschaft tun und lassen kann. Eine Wertung des Islams in Deutschland kann eine Interessensvertretung, eine Gruppierung namens „Initiative Säkularer Islam“ zwar vornehmen, nicht aber über schlichte Glaubensinhalten, die mit der freiheitlich-demokratischen Ordnung vermutlich in Konflikt geraten.
Solche persönlichen oder gruppiert vertretenen Glaubensinhalte müssen mit der Grundordnung nicht kompatibel sein, denn die Verfassung ist kein säkulares Dogma, an die man zu glauben hat. Jeder Glaube, ob religiös oder politisch motiviert, hat einen ureigenen Wahrheitsanspruch, der nach diesem Selbstverständnis sich der irdischen oder derzeitigen Rechtsetzung nicht unterordnen muss.
Und dennoch haben alle teilnehmenden islamischen Verbände von sich aus bereits mehrmals unterstrichen, wie sie zur deutschen Verfassung, zur deutschen Demokratie stehen – eidesstattlich.
Von daher ist es nicht relevant, woran man glaubt oder was man ablehnt, sondern ob man die Verfassung, eine Grundordnung wie die in Deutschland akzeptiert.
Nur diese Grundordnung, genannt Verfassung, ist verbindlich. Im Kern geht es also nur darum, ob man sich gegenseitig respektiert, akzeptiert.
Eine wehrhafte Demokratie wie sie in Deutschland vorherrscht, muss solche Glaubensinhalte oder auch wie auch immer gearteten Ansichten aushalten, wie sie es auch aushalten muss, das rechtspopulistische Umtriebe das Land erfasst haben. Aktivitäten, die eine Beseitigung der Grundordnung zum Ziel haben, werden im Rahmen der Verfassungsgesetzgebung verfolgt und unterbunden. Von einer Unterminierung der Verfassung und somit Demokratie und Freiheit kann also keine Rede sein. Mit solchen populistischen Phrasen haben wir es aber zu tun.
Welches Recht haben also diese mittlerweile zu charismatischen Führern herangezogenen sogenannten Verteidiger des „säkularen Islam“? Sie haben das Recht, sich in der Auseinandersetzung, um die Deutungshoheit über einen Glauben im Rahmen der Gesetze zu bewegen, ohne dabei das Recht des anderes abzusprechen oder sich dahingehend zu betätigen, die das verhindern.
Wie verhält es sich, wenn diese Auseinandersetzung aber konkret das Ziel verfolgt, die Anerkennung der Islamverbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts zu unterbinden? Wie bezeichnet man einen Versuch, religiöse Glaubensinhalte aus dem öffentlichen Raum zu verbannen? Wie ist es zu verstehen, wenn eine Initiative Muslimen konkret vorwirft, Sonderrechte zu beanspruchen?
Das ist nicht die Aufgabe selbsternannter Freiheits- und Demokratieverfechter. Daher ist es nicht nur wichtig und richtig, die DIK zu boykottieren, sondern die Entscheidungsträger in der Grundordnung auf diese Umstände aufmerksam zu machen, die Interesse haben, gemeinsame Ziele und Interessen zu verfolgen, einen Konsens zu finden, der alle zufriedenstellt und niemand ausgrenzt.
Versuche, die darauf abzielen, einen am Nasenring über die DIK-Plattform vorführen zu lassen und die Deutungshoheit an sich zu reißen, dürfen nicht einmal im Ansatz geduldet werden. Offenbar hat aber auch die staatliche Ordnung kein Interesse daran, dem ein Riegel vorzuschieben.
Es gibt kein Entweder-Oder-Prinzip mehr. Plurarität und Teilhabe gehen nicht mit diesem Prinzip einher.
Dieser Kommentar gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.
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