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„Tissue Engineering“
„In 20 Jahren wird sich die Mehrheit der Menschen von Kunstfleisch ernähren“

Richard David Precht prophezeit ein Ende der Massentierhaltung. In 20 Jahren wird sich die Mehrheit der Menschen von Kunstfleisch ernähren, sagte der Philosoph und Autor beim Zukunftsdialog Agrar & Ernährung.

(Foto: culturedbeef.org)
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Hamburg (ots) – Richard David Precht prophezeit ein Ende der Massentierhaltung. In 20 Jahren wird sich die Mehrheit der Menschen von Kunstfleisch ernähren, sagte der Philosoph und Autor beim Zukunftsdialog Agrar & Ernährung der ZEIT und der ‚agrarzeitung‘ in Berlin.

Die technologische Entwicklung sei so „unfassbar schnell“, außerdem sprächen ethische Argumente für diese Ernährungsform. Nutztierhaltung sei „die große Sauerei der Menschheitsgeschichte“. Kunstfleisch werde zudem deutlich günstiger sein.

Die deutsche Politik und Agrarbranche verschlafe diese Entwicklung völlig, so Precht, das Silicon Valley werde wie in anderen Bereichen die Nase vorn haben: „Wir müssen diesen Umbruch schnell mitgestalten, sonst sehe ich für die deutschen Bauern schwarz.“ Precht weiter: „Ich würde mir von der Politik ein deutliches Investitionsvolumen wünschen.“

Bei der Veranstaltung der ‚agrarzeitung‘ und der Wochenzeitung DIE ZEIT diskutieren führende Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, darunter die Bundesministerin für Umwelt und Naturschutz, Barbara Hendricks, und der Minister für Ernährung und Landwirtschaft am 30. Mai 2017 kontrovers über die Zukunft der Landwirtschaft.

Muss sich in der Agrar- und Ernährungswirtschaft substanziell etwas ändern und wenn ja, was? Welche Rahmenbedingungen will und kann die Agrarpolitik setzen? Was erwartet die Gesellschaft von der Agrar- und Ernährungswirtschaft?

„Tissue Engineering“

In den verschiedensten Teilen der Welt wie Australien und den Niederlanden forschen Wissenschaftler seit einigen Jahren mit Hochdruck daran, lebende Zellen eines Organismus außerhalb des Zielgewebes zu kultivieren und so im Labor wachstumsfähige Gewebe und Organe zu erzeugen. Dieser Forschungszweig heißt „Tissue Engineering“ – zu deutsch Gewebezüchtung – und ist einer der bestbezahlten Forschungszweige weltweit.

„Tissue Engineering“ wird vor Allem mit dem Ziel betrieben, eines Tages funktionsfähige Organe aus körpereigenen Stammzellen für die Transplantation zu züchten.

Die Produktion von „tissue-engineered meat“, also essbarem Fleisch aus der Gewebezüchtung, ist im Vergleich zur Produktion lebensfähiger Organe fast trivial, und die Technologien fallen quasi als Nebenprodukt der medizinischen Forschung an. Neben Fleisch von Schweinen, Rindern, Hühnern, Kängurus, Walen oder Langusten könnten auf diesem Wege auch andere tierische Produkte wie Wurst oder Eier leidfrei hergestellt werden. Rindersteak, Kalbshaxe und Schweinebauch, Hähnchen-Nuggets oder Fisch, Frikadelle, Salami, Putenwurst und Leberpastete – tierische Produkte, für die kein Tier sterben musste. Damit wäre das Ende von Legebatterien und Kälbermast, Kastenständen für Schweine, Tiertransporten und Schlachthöfen eingeläutet.

„Das Produkt hat die Struktur und den Geschmack von magerem Fleisch, ohne dass die Tiere leiden müssen oder religiöse und ethische Bedenken oder Umweltprobleme auftreten, wie das bei heutigen Fleischprodukten der Fall ist“, heißt es in der Patentschrift für das von Wiete Westerhof an der Universität Amsterdam entwickelte Verfahren. In den Niederlanden wird bereits die industrielle Produktion von Kunstfleisch erforscht. Mit 2 Millionen Euro unterstützt das Wirtschaftsministerium in Den Haag ein zunächst vierjähriges Forschungsvorhaben der Universitäten in Eindhoven, Utrecht und Amsterdam. Projektpartner aus der fleischverarbeitenden Industrie schießen weitere 2,3 Millionen Euro zu. Dennoch ist die Entwicklung in diesem Bereich viel zu langsam – Deutschland beispielsweise unternimmt keinerlei Anstrengungen in diese Richtung.

Strukturierte Fleischstücke wie Nackensteak oder Rindsrouladen sind noch Zukunftsmusik – künstliches Formfleisch, das ohne weiteres zu Wurst oder Convenience-Produkten wie Fischstäbchen oder Hähnchen-Nuggets verarbeitet werden könnte, ist dagegen nahezu praxisreif. (ariwa)

 

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