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Flüchtlingsleid
Geschäftsidee Not: Flüchtlinge als Opfer und Anlass von Abzocke

Verkäufer von Versicherungen und Telefontarifen haben in den Geflüchteten eine potenzielle Zielgruppe ausgemacht und bedrängen diese offenbar schon so vehement, dass sich selbst die Verbraucherzentrale genötigt fühlt, vor überteuerten Prepaidtarifen und unnötigen Versicherungen zu warnen.

(Foto: Haber)
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Berlin (nex) – Was nach dem Fall der Berliner Mauer in Ostdeutschland Platz gegriffen hatte, wiederholt sich nun hinsichtlich der Flüchtlinge, die seit September letzten Jahres ins Land gekommen sind, um auf unbestimmte Zeit hierzubleiben.

Verkäufer von Versicherungen und Telefontarifen haben in den Geflüchteten eine potenzielle Zielgruppe ausgemacht und bedrängen diese offenbar schon so vehement, dass sich selbst die Verbraucherzentrale genötigt fühlt, vor überteuerten Prepaidtarifen und unnötigen Versicherungen zu warnen.

Da Personen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus und ohne Vorgeschichte in diesem Land große Probleme haben, Telefonverträge zu erlangen, wird das Prepaidhandy zum Ausweg. Allerdings warten auch hier Kostenfallen, insbesondere im Zusammenhang mit Auslandstelefonaten, auf die Kunden. Auch weist die Verbraucherzentrale darauf hin, dass Personen mit begrenztem Aufenthaltsstatus zwar Versicherungen abschließen können, aber nicht alle gebraucht würden. So sei eine Haftpflichtversicherung zwar hilfreich, eine Hausratsversicherung hingegen angesichts der nur wenigen Habseligkeiten der Flüchtlinge unnötig.

Die Verbraucherzentrale hat, um den Flüchtlingen die Orientierung zu erleichtern und sie gegen Abzocker zu schützen, auf ihren Internetseiten nun ein Informationspaket mit ersten Basisinformationen und Merkblättern für Flüchtlinge sowie Flüchtlingshelfer bereitgestellt. Darin geht es unter anderem um Themen wie Telefon und Internet, Geld und Konto, Versicherungsschutz und Rundfunkgebühren.

Aber auch die öffentliche Hand selbst wird zum Ziel gewiefter Geschäftemacher. Angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingszustromes – allein Berlin erwartet in diesem Jahr zwischen 50 000 und 60 000 Neuankömmlinge – stehen Städte und Gemeinden vor anhaltenden Problemen bezüglich der Unterbringung. Staatliche Flüchtlingsunterkünfte sind zum Teil restlos überfüllt, die Zustände dort lassen stark zu wünschen übrig, es kommt nicht selten zu Konflikten unter den Flüchtlingen selbst oder mit dem Betreuungs- und Wachpersonal. Private Anbieter von Unterkünften werden dadurch gefragter denn je.

Für die Besitzer leer stehender, älterer Immobilien auf dem Land ist die Flüchtlingsbetreuung nicht selten eine willkommene Gelegenheit, sich eine verlässliche, längerfristige Einnahmequelle zu verschaffen, zumal mit dem Staat und den öffentlichen Institutionen solvente Zahler als Mieter zur Verfügung stehen. Für manche Anbieter stellt dies aber auch eine Gelegenheit dar, durch überbelegte Räumlichkeiten Geld zu machen, das man auf üblichem Wege kaum in dieser Höhe eingenommen hätte.

So musste das Land Berlin im Herbst 2015 tausende Flüchtlinge in Hostels unterbringen, wobei die Betreiber Zwei- oder Vierbettzimmer mit doppelt so vielen Menschen belegten und dafür pro Tag und Kopf bis zu 50 Euro vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) verlangten. Es häufen sich die Klagen darüber, dass Privatleute und Firmen ohne Genehmigung und zu überhöhten Preisen Wohn- und Büroräume an Flüchtlinge vermieten würden, die sie zuvor zu marktüblichen Preisen von landeseigenen Trägern angemietet hätten.

Öffentliche Träger wie die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) berichten über eine Reihe von Anfragen. Jenen mit als überhöht empfundenen Preisen werde jedoch nicht nähergetreten. In Berlin bemüht sich beispielsweise die Unternehmensgruppe Grand City Hotels um einen mehrjährigen Vertrag zur Unterbringung von Flüchtlingen in 10 000 Hotelräumlichkeiten zu einem errechneten Bettenpreis in Höhe von 1500 Euro pro Monat. In Elmshorn will ein Immobilienmakler Flüchtlinge zum Satz von 23,90 Euro pro Person und Tag unterbringen.

Im Falle einer Drei-Zimmer-Wohnung würde dies Einnahmen von etwa 2100 Euro bedeuten. Zwar sind Hotelpreise stets verhältnismäßig hoch, zumal im Normalfall kaum mit einer ganzjährigen vollständigen Auslastung zu rechnen ist, dennoch kommt es immer wieder zu Angeboten, die in Kenntnis der Not und des Zeitdrucks aufseiten der Gemeinden zusätzlich auch noch besonders hohe Mieteinnahmen herausschlagen wollen.

Der Goldrausch unter Immobilienbesitzern ist es am Ende auch – und nicht, wie mancher „besorgte Bürger“ es vermuten mag, eine Verschwörung sinisterer „Gutmenschen“ in der Regierung -, der dazu führt, dass weniger einträgliche Nutzungen gegen voraussichtlich einträglichere eingetauscht werden und so nicht nur aus früheren Kasernen und leer stehenden Bürokomplexen, sondern auch aus Altenheimen, Kindergärten, Kliniken oder Turnhallen Flüchtlingsunterkünfte werden.

Unter zahlreichen Verantwortlichen für die Vergabe ist die Unzufriedenheit über die Geschäftstüchtigkeit mancher Anbieter groß, aber ihre Vorstellung eines ausschließlichen Betriebes von Flüchtlingsunterkünften durch vermeintlich erfahrenere Kommunen oder Wohlfahrtsverbände ist in Anbetracht der zahlreichen Flüchtlinge, die unter Zeitdruck unterzubringen sind, nicht realitätstauglich. Deshalb behalten die Realisten wie Carolin Hegenbarth vom IVD Recht, die darauf hinweisen, dass die Kommunen auf private Partner in der Flüchtlingsunterbringung gar nicht verzichten können.