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Kommentar: Man ist nach wie vor auf die Türkei angewiesen

Am Mittwoch trafen sich EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Ankara. Bei dem Treffen in der Türkei ging es hauptsächlich um den möglichen Ausbau der Beziehungen.

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EU-Türkei-Gespräche in Ankara: Die Erwartungshaltung

Ein Gastbeitrag von Nabi Yücel

Am Mittwoch trafen sich EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und dem türkischen Außenminister Çavuşoğlu in Ankara. Bei dem Treffen in der Türkei ging es hauptsächlich um den möglichen Ausbau der Beziehungen.

Von Abbau der Beziehungen oder Drohungen gegenüber Ankara kann also keine Rede sein. Worum geht es also konkret? Das Treffen der Spitzenvertreter stand bereits vor Beginn für manche moralisch Unterbelichteten unter keinem guten Stern und endete laut den europäischen Schnappatmern des Treffens in einem Eklat, als von der Leyen noch auf den Beinen stand, während die Spitzen der EU und der Türkei in ihre Stühle sackten.

(Screenshot/Twitter)

Nun, laut Protokoll sind der EU-Ratspräsident und der türkische Staatspräsident die ranghöchsten Vertreter, gefolgt von der EU-Kommissionspräsidentin und dem türkischen Außenminister. Ja, von der Leyen, als einzige vom anderen Geschlecht, hätte in dieser Runde mehr Aufmerksamkeit verdient; die Männer hätten warten müssen, bis die Dame in ihrem dreier Sofa Platz nimmt.

Danach erst hätte sich der Michel in seinen Stuhl werfen können, während Erdoğan noch im toten Winkel auslotet, wo sein rückwärtiger Teil landen wird. Aber der sogenannte Eklat an sich war nur ein weiterer willkommener Grund der europäischen Schnappatmer, sich dem Frust zu entledigen, die sich seit der Ankündigung des Treffens unter Türkei-Kritikern breit gemacht hatte. Dabei ging es doch bei diesem Treffen hauptsächlich um zweierlei Dinge: Wirtschaft und Migration.

Nach dem fast dreistündigen Treffen sagte Michel auf der anschließenden Pressekonferenz mit einem breiten Lächeln, dass die EU bereit sei, eine konkrete Agenda vorzulegen, um die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Migration sowie die zwischenstaatlichen Beziehungen zu stärken. Von der Leyen spulte währenddessen in die deutschen Kameras das ab, was Sie bereits immer dem Volkspföstchen eingetrichtert hatte; um Ihr Gesicht zu wahren.

Letztendlich heißt das auf Deutsch: Man ist seit 2015 nach wie vor auf die Türkei angewiesen, um die unkontrollierte Migration unter Kontrolle zu bekommen und die wirtschaftliche Schieflage der EU zu kompensieren. Gegenwärtig sogar mehr denn je, denn der Zuzug von Flüchtlingen wird nicht abebben, weil man sich aus dem syrischen Bürgerkrieg davon geschlichen hat oder in Libyen wegschaut, wenn die Türkei dort die Einheitsregierung militärisch unterstützt.

Dabei fing es doch so schön an: Ende 2015 vereinbarte man mit Ankara eine Regulierung des Zuzugs von Flüchtlingen, um 2016 das ganze juristisch abgesichert unter Dach und Fach zu bringen. Aber während die Türkei sich an die Abmachung hielt, stolzierten frisch gewählte europäische Spitzenvertreter vor ihren Volkspföstchen – allen voran Sebastian Kurz – und präsentierten die ersten Erfolge des Flüchtlingsdeals: abrupter Rückgang des Zuzugs. Kurzum, alle hatten diesen Umstand Ankara zu verdanken. Bis 2018 erkaufte sich Europa für läppische sechs Milliarden seinen politischen und sozialen Frieden.

Ab 2018 sorgten dann die drei Innenminister Deutschlands (Horst Seehofer – CSU), Österreichs (Herbert Kickl – FPÖ) und Italiens (Matteo Salvini – Lega) während des Dreiertreffens auf Abdichtung der EU-Außengrenzen, in dem Sie u.a. Griechenland, über dem der Pleitegeier schwebte, die Schulden ordneten und ihr dabei verordneten, ihre ägäische Seegrenze zur Deportationszone zu erklären. Währenddessen stotterte man gemütlich die 6 Milliarden ab und war sogar bis weit in das Jahr 2020 hinein noch immer im weit Verzug mit den versprochenen Zahlungen.

Die Zahlungsmoral der EU schwappte dann auch noch auf das Gemüt über, als Ankara die Faxen dicke hatte und die Grenzen zum europäischen Außenposten Griechenland so löchrig gestaltete, wie im Schweizer Käse. Damit endete auch die Show der EU-Spitzenvertreter, auch wenn sich die Mainstream-Medien die Klinke gaben, um die Türkei als Aggressor darzustellen. Seither mimen die EU-Spitzenvertreter in ihren Ländern gegenüber Ankara den starken Löwen, während sie in Ankara zu Mietzekatzen mutieren. Das hat auch einen einzigen plausiblen Grund: Ohne Verhandlungen kann sich Europa vor der Flüchtlingsflut selbst nicht schützen und wird nicht nur moralisch auf eine harte Probe gestellt. 

Es drohen nicht nur wirtschaftliche, sondern soziale Abgründe, was man angesichts der Zustände in griechischen Deportationslagern sich selbst ausmalen kann. Von den politischen Umbrüchen, bis hin zu politischen Zusammenbrüchen, spreche ich angesichts der Pandemie schon gar nicht. Wenn die europäischen Schnappatmer doch bitte so freundlich wären und ihre EU-Spitzenvertreter genauso stark dazu animieren würden, den Flüchtlingsdeal mit Ankara und dem „Despoten“ aufzukündigen, damit die Millionen von Flüchtlingen endlich in europäischen Hauptstädten adäquat einquartiert werden, wäre doch allen geholfen. Niemand müsste darunter leiden, vor allem nicht sie selbst.

PS: Seid versichert. Weder Ankara noch Erdoğan sind für dieses sogenannte Eklat verantwortlich. Ankara folgte nur dem europäischen Protokoll.


Dieser Gastbeitrag gibt die Meinung des Autors wieder und stellt nicht zwingenderweise den Standpunkt von nex24 dar.


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